“Wir haben viel versäumt”

Kultur / 11.12.2022 • 19:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Schriftstellerin Daniela Egger im Gespräch mit den VN über ihr Stück "Zwei Frauen, ein Leben", das am Landestheater uraufgeführt wird. <span class="copyright">CD </span>
Schriftstellerin Daniela Egger im Gespräch mit den VN über ihr Stück "Zwei Frauen, ein Leben", das am Landestheater uraufgeführt wird. CD

Die Vorarlberger Autorin Daniela Egger hat ein Theaterstück über Kundeyt und Ayse Surdum geschrieben.

Bregenz „Eine Persönlichkeit wie Kundeyt Surdum ist für Vorarlberg ein großer Schatz“, sagt Daniela Egger. Die Vorarlberger Schriftstellerin kennt seine Gedichte sowie einige der Sendungen, die er für den ORF gestaltet hat. „Seine Texte haben mich sehr berührt, als ein Stückauftrag zu einem Dichter kam, konnte ich nicht Nein sagen, obwohl das Thema eine enorme Herausforderung darstellt.” Auftraggeberin war Stephanie Gräve, Intendantin des Vorarlberger Landestheaters. Am 14. Dezember findet die Uraufführung von „Zwei Frauen, ein Leben“ in Bregenz statt.

Daniela Egger, geboren 1967 in Hohenems, hat bereits ein Jugendstück für das Landestheater verfasst. In „Who cares? Welche Krise?“ thematisierte sie die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen im Rahmen einer zart angedeuteten Liebesgeschichte.

Kundeyt Surdum kam 1971 aus der Türkei nach Vorarlberg und war als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist tätig. <span class="copyright">Rudolf Zündel</span>
Kundeyt Surdum kam 1971 aus der Türkei nach Vorarlberg und war als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist tätig. Rudolf Zündel

Kundeyt Surdum (1937-2016) kam mit seiner Frau Ayse im Jahr 1971 nach Österreich. Das Paar hatte kurz zuvor geheiratet. Der junge Ehemann hatte Germanistik, Kunstgeschichte und Archäologie studiert, reiste schon während seiner Ausbildung mehrmals nach Deutschland und wollte an sich auf die Filmakademie. „Schon Kundeyt Surdums Großeltern waren als Tscherkessen vertrieben worden. Die Eltern haben ihre Muttersprache gar nicht an die Kinder weitergegeben. Die Beschäftigung mit der Heimat oder dem Heimatlossein hat ihn immer begleitet“, erzählt Daniela Egger.

Das Verlassen der Türkei war politisch motiviert. „Die Situation nach dem Militärputsch von 1971 war gerade für Intellektuelle eine sehr schwierige. Ich denke, er hat sehr darunter gelitten, dass er weggegangen ist, anstatt aufzubegehren, aber er hat sicher erfahren, wie Kollegen im Gefängnis gelandet sind.“ Kundeyt und Ayse Surdum kamen zuerst in Frastanz bei einem Freund unter. Die Vorhaben der jungen Frau, die ein Kunststudium absolvieren wollte, zerschlugen sich. „Ich bin zufrieden“, hat sie zu Daniela Egger gesagt. Sie habe ein besonderes Leben mit ihrem Mann gehabt, auch wenn es nicht so war, wie sie es sich ursprünglich vorgestellt hatte.

Aus der Perspektive der Frau

Das literarische Werk von Kundeyt Surdum, die Gedichte, Hörspiele, Reden und Prosatexte, wurden heuer in einer von Claudio Bechter erstellten Werkausgabe im Auftrag des Vorarlberg Museums, des Felder-Archivs und der Landesbibliothek zugänglich gemacht. Bechter thematisiert auch Surdums Tätigkeit beim Rundfunk, als Übersetzer und Lehrer sowie die Zusammenarbeit mit dem Fotokünstler Nikolaus Walter, die zum Text- und Bildband „Landlos. Türken in Vorarlberg“ führte. „Dass das Werk ihres Mannes zugänglich gemacht werden konnte, ist auch das Verdienst von Ayse Surdum“, betont Daniela Egger. „Sie hat die handschriftlich verfassten Gedichte abgetippt und geordnet.“ Mit wild klopfendem Herzen sei die Autorin der Frau begegnet, deren Perspektive sie für ihren Bühnentext gewählt hat, den sie ihr vorlas und für den sie ihr Einverständnis erhielt. Daniela Egger war es wichtig, auch die Migrationsgeschichte der Frauen in den Fokus zu rücken. „Diese Themen sind bei uns noch nicht aufgearbeitet. Wir haben viel versäumt, es gibt noch viele Vorurteile. Alles, was dazu beiträgt, dass man mehr Verständnis füreinander entwickelt, ist wichtig. Das gehört auch ins Theater und ins Museum.“ Mit Suat Ünaldi, 1980 in Izmir geboren, führt ein Künstler Regie, der seit 2018 in Vorarlberg lebt und auch an der Aufarbeitung des Surdum-Nachlasses beteiligt war. „Es ist ein großes Vergnügen, wenn man gehört wird und wenn sich die Produktion zu einer gemeinsamen Arbeit entwickelt“, erklärt die Autorin.

„Alles, was dazu beiträgt, dass man mehr Verständnis füreinander entwickelt, ist wichtig.“

Daniela Egger, Schriftstellerin

Was Daniela Egger als Heimatlosigkeit empfunden hatte, als sie als Fünfzehnjährige von Vorarlberg nach Wien zog, entspreche einer anderen Kategorie als das, was Kundeyt und Ayse Surdum erfahren mussten, die Thematik seiner Gedichte, das Verbindende in seinen Arbeiten, habe sie aber immer angesprochen. „Das ist ein großes gesellschaftliches Thema. Wir leben mit vielen Menschen, die in zwei Welten zu Hause und in einer Vielseitigkeit unterwegs sind. In seinen Gedichten fächert Kundeyt Surdum auf, was für eine Fülle an Erfahrungen, aber auch Schmerzerfahrungen das mit sich bringt.“

Premiere von „Zwei Frauen, ein Leben“ am 14. Dezember, 19.30 Uhr am Vorarlberger Landestheater in Bregenz.

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.