Die Welt endet mit einem Wimmern

In „Sonne, los jetzt!“, uraufgeführt in Zürich, widmet sich Elfriede Jelinek der Klimakrise.
ZÜRICH Worthülsen, Ersatzhandlungen, Durchwursteleien: Der Umgang des Menschen mit der von ihm selbst verursachten Klimakrise lässt sich nur noch in Kategorien der Groteske fassen. Es überrascht also kaum, dass inzwischen eine Autorin wie Elfriede Jelinek sich des Themas angenommen hat.
In der um Teile aus ihrem Text „Luft“ ergänzten Auswahl, die Regisseur Nicolas Stemann für die Uraufführung von „Sonne, los jetzt!“ am Schauspielhaus Zürich getroffen hat, wird allerdings eine richtig ätzende Säure kaum ausgegossen.

Bei aller gewohnt Jelinekschen Ironie und Systemkritik überwiegt ein fast märchenhaft anmutender Duktus. Was auch damit zusammenhängt, dass die österreichische Literaturnobelpreis-Trägerin die Erde gewissermaßen vom Abstand der Sonne aus betrachtet. Die Bühnenbildnerin Katrin Nottrodt zeigt das Zentralgestirn entsprechend prominent als einen über dem Boden hängenden riesigen Teller mit einer Folie, die von hinten angestrahlt wird und im Laufe der Aufführung immer mehr zerschmilzt.

Diese Sonne scheint einen perfiden Lustgewinn daraus zu ziehen, die Menschen zu versengen. Die Autorin benennt unsere Unfähigkeit, in Eintracht mit der Natur zu leben. Und Jelinek wäre nicht sie selbst, wenn nicht die braun bis schwarz gebrutzelten Strandtouristen ihr Fett abbekämen und die ungleichgewichtige Rollenverteilung zwischen Mann und Frau wenigstens angetönt würde. Über allem steht die wortspielerisch-kalauernde, musikalisierte Verfasstheit der Texte, die eine vielstimmig klingende Partitur ergeben.

Es ist ja auch hier so, dass Elfriede Jelineks Nichttheater nur dadurch zum Theater wird, dass ein Regisseur Bilder und Aktionen hinzuerfindet. Der gefühlt endlose Wörter-Lindwurm, der sich assoziativ von A nach B und weiter nach C und D hangelt, taugt freilich durchaus auch als Ideenspender, denn in seinen Fältelungen finden sich immer wieder wunderbare sprachliche Kreationen und „Objets trouvés“. Nicolas Stemann hat bereits über zehn Jelinek-Stücke urinszeniert und darf somit füglich als ein auf diesem Feld beschlagener Regisseur gelten. Was dieser Abend im Wesentlichen bestätigt. Allerdings herrscht teilweise zu viel Betrieb, und die formalen Gewichte wirken auch nicht ganz austariert.

Sehr schön, dass Karin Pfammatter eine geraume Weile als „Sonne“ Text vorträgt und wir uns so einschwingen können in den Jelinekschen Kosmos. Und Alicia Aumüller, Daniel Lommatzsch, Sebastian Rudolph, Lena Schwarz und Patrycia Ziolkowska spielen wandelbar und plastisch die von Klimanöten geplagten Menschlein, in fantasieprall ersonnene Kostüme (ausladende Reifröcke inklusive) von Katrin Wolfermann gesteckt, und schlüpfen teils auch noch in die „Rolle“ der Strahlengöttin. Text wird chorisch gesprochen oder nacheinander gestaffelt.

Plötzlich fliegen Bälle durch die Luft, wirbelt man über die Bühne, sichern Leute in Schutzanzügen scheinbar kontaminierte Gegenstände mit Greifzangen. „Bäume“ werden mit einer fingierten Motorsäge gefällt, es meldet sich aus Lautsprechern Greta Thunberg mit ihrer emotionalen „How dare you!“-Rede von 2019, leitmotivisch spritzt es aus Spraydosen.

Das Publikum darf momentweise mitmachen, und es werden ausgestorbene und noch aussterbende Tierarten protokollarisch verlesen. (Der Homo sapiens ist 2058 dran.) Bei all dem kann sich der musikalisch reichhaltig untermalte Abend streckenweise nicht entscheiden, ob er Spaßrevue sein will oder nach Tiefsinn auslotender Essay. Dass die Klimageschichte jedenfalls hier auf der Theaterbühne nicht gut ausgeht, machen (auch) Anfang und Schluss des Abends klar, wenn wir eine Männerstimme aus einem Gedicht von T.S. Eliot rezitieren hören, die Welt ende mit einem Wimmern. TB
Weitere Vorstellungen (140 Minuten) bis 1. Februar 2023

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