„Ich verdanke dem Abfall persönlich viel als Mensch“

Der neue Roman von Arno Geiger trägt den Titel „Das glückliche Geheimnis“.
WIEN Am 10. Jänner erscheint mit „Das glückliche Geheimnis“ das neue Buch des Vorarlberger Erfolgsautors Arno Geiger. Im Interview mit den VN erzählt er über die Hintergründe seines Schaffens und warum der Abfall für ihn der größte Fundus ist, von dem er ein Leben lang zehrt.
Ihr neues Buch trägt den Titel „Das glückliche Geheimnis“. Welches Geheimnis werden Sie verraten?
Das glückliche Geheimnis – dass ich als junger Mensch in etwas hineingeraten bin, das sich zunächst als Holzweg erwiesen hat und später als eine gute Sache. Ich war drei-, vierundzwanzig, sehr jung und weit weg von zu Hause. Ich wollte Schriftsteller werden mit äußerst ungewisser Perspektive. Da fing ich an, in den Straßen von Wien Streifzüge zu machen und in den an der Straße stehenden Altpapiertonnen nach für mich Brauchbarem zu suchen.
Inzwischen sind zwölf Jahre vergangen seit „Der alte König in seinem Exil“ veröffentlicht wurde. Jetzt erscheint wieder ein ganz persönliches, autobiografisches Buch von Ihnen. Wie tief werden die Lesenden in Ihr Inneres bzw. Ihre Persönlichkeit blicken dürfen? Wieviel geben Sie preis?
Als Schriftsteller soll man über das schreiben, was einem am wichtigsten ist, nicht über das Zweit- oder Drittwichtigste oder über kalkulierte Themen. Die Leserinnen und Leser merken das, glaube ich. Und anders als mit größter Offenheit könnte ich mir ein autobiografisches Buch nicht vorstellen. Offenheit besitzt in meinen Augen einen hohen moralischen Wert, im Alltag wie in der Literatur. Wir tauschen uns aus, um uns selbst und den gesellschaftlichen Kontext, in dem wir uns bewegen, besser zu verstehen.
Doch viel von sich preiszugeben, bedeutet auch verletzlich zu sein? Vor welcher Reaktion fürchten Sie sich am meisten?
Zumindest was den Literaturbetrieb betrifft, habe ich das Fürchten verlernt. Es kommt ohnehin immer alles Vorstellbare, von der äußersten Begeisterung bis zur gröbsten Ablehnung. Das war auch bei „Der alte König in seinem Exil“ so – was beweist, dass die Menschen wirklich sehr verschieden sind. Gleichzeitig ist dieser Umstand, dass die Menschen verschieden sind, Teil meines schriftstellerischen Geschäftspotenzials, salopp ausgedrückt. Wie man beim Schreiben nie knausrig sein darf, soll man beim Schreiben nie furchtsam sein. Es komme, was komme.
Welcher der „Schätze“, die Sie auf Ihren Touren entdeckt haben, liegt Ihnen am meisten am Herzen? Welche werden zu weiteren Romanen verarbeitet? Oder ist mit dieser Autobiografie das Kapitel abgeschlossen?
Ich verdanke dem Abfall persönlich viel, als Mensch. Aber dem einzelnen Fund kommt dabei keine übermäßige Bedeutung zu, die Summe macht’s. Ich hatte es hier mit einem der seltenen Fälle zu tun, in denen eine Zunahme an Quantität gleichbedeutend war mit einer Zunahme an Qualität. Die Menschen sind tatsächlich sehr vielfältig. Und es war für mich hilfreich, über den Abfall ein paar zusätzliche Einblicke zu bekommen in das, was andere unter Leben verstehen. Man kann nicht genug über derlei wissen, das gilt für uns alle, für jeden Menschen. Für mich als Schriftsteller sowieso. Je mehr ich über das Leben der Menschen weiß, desto mehr weiß ich über mich und desto mehr habe ich zu sagen.
Was die Zukunft anbelangt: Von dem, was ich dem Abfall verdanke, zehre ich ein Leben lang, davon bin ich überzeugt. Dies auch in Hinblick auf mögliche weitere Bücher. Das Erfahrene und Gelernte geht nicht verloren, nur weil ich mit meinen Streifzügen aufgehört habe.
„Das glückliche Geheimnis“ ist aber auch ein Zeitzeugnis des gesellschaftlichen Wandels. Wann wurde Ihnen das sich verändernde gesellschaftliche Leben so richtig bewusst?
Das gesellschaftliche Leben ändert sich immer, seit jeher und ständig, manchmal schleichend, manchmal abrupt. Derlei schlägt sich natürlich auch im Abfall nieder, der eine Rückseite unserer Lebensform darstellt. Und dann merke ich eines Tages, hoppla, früher habe ich viel mehr Bastelabfall von Kindern gesehen, der ist so gut wie verschwunden. Musiknoten sehe ich kaum mehr. Dafür nehmen die Möbelkartons und Verpackungen von Elektrogeräten zu.
Steht auch eine Lesung in Vorarlberg auf dem Programm?
Nein, ich mache nur eine kleine Handvoll Veranstaltungen. Mir sind die Veranstaltungen insgesamt zu viel geworden. CRO

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