Neues im Bekannten entdecken

Als Einspringer leitet er das traditionelle Meisterkonzert der Wiener Symphoniker.
BREGENZ So schnell kann es gehen mit wichtigen Orchesterpositionen. Kaum war der Kolumbianer Andrés Orozco–Estrada, der mehrfach auch in Bregenz auftrat, als Chefdirigent der Wiener Symphoniker bestellt, war er nach einem Zerwürfnis auch schon wieder weg. Für den geplanten Auftritt des Orchesters bei den Meisterkonzerten übernimmt der Spanier Pablo Heras-Casada ein Programm mit den ersten beiden Brahms-Symphonien.
Sie haben von den Berliner Philharmonikern abwärts bereits viele bedeutende Orchester geleitet. Waren die Wiener Symphoniker auch dabei?
HERAS-CASADA Natürlich haben die Wiener Symphoniker einen wichtigen Platz in meiner persönlichen Liste der wunderbaren großen Orchester, die ich in meinem Leben dirigiert habe. Ich werde mich immer an mein Debüt im Konzerthaus mit den Symphonikern erinnern, als ich Beethovens Neunte dirigierte. Das ist ein Höhepunkt meines musikalischen Lebens in den letzten Jahren und ich schätze diese Erinnerungen sehr. Zu diesem Zeitpunkt begann ich, eine Beziehung zu dieser wunderbaren und erstaunlichen kulturellen Musikstadt Wien aufzubauen. Und jetzt ist es ein wahrer Schatz, dass ich meine musikalische Partnerschaft mit den Wiener Symphonikern weiter ausbauen kann.

Bei Ihrem Bregenz-Debüt im Rahmen der Meisterkonzerte sind Sie als Einspringer tätig. Ist das etwas anderes, als wenn man von vornherein gefragt wurde?
HERAS-CASADA Natürlich ist es für beide Seiten aufregend, etwas zu erleben, das man nicht erwartet hat, und das macht es noch aufregender. Die beiden ersten Symphonien von Brahms in einem Konzert zu dirigieren ist eines der aufregendsten Projekte, an die ich mich erinnern kann. Wenn dann das Konzert gekommen ist, geht es aber nur noch um die Musik.
Sie verfügen als Dirigent über ein sehr vielfältiges und breites Konzert- und Opernrepertoire. Welche Rolle spielt darin das symphonische Werk von Johannes Brahms?
HERAS-CASADA Jeder Dirigent würde sagen, dass Brahms’ Symphonien zu den zentralen Werken gehören, dass sie Teil des Kernrepertoires auch jedes Orchesters sind. Mir bedeuten seine Symphonien enorm viel, besonders in den vergangenen zwölf Jahren habe ich mich intensiv mit ihnen auseinandergesetzt. Brahms hat für die Weiterentwicklung der Sinfonie als Form Großes geleistet.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Wie wichtig war ihm die Tradition?
HERAS-CASADA Er war sich sehr bewusst über die Tradition und das Erbe, das er von den großen Meistern seiner Vergangenheit angetreten hat, als er damit Beethovens Neunte weiterführte. Aber aus jeder Note seiner Symphonien scheint Brahms selbst zu sprechen, man kann seine Persönlichkeit, seine Individualität und seine Ideen förmlich spüren. Er hat damals Grenzen überwunden, er hat die Musik revolutioniert, aber das Erbe, das er antrat, respektiert. Das ist so großartig wie außergewöhnlich.
Für die Symphoniker gehört Brahms zum klassisch-romantischen Standard-Repertoire. Wie gestaltet man nun daraus eine Aufführung, die über reine Routine hinausgeht?
HERAS-CASADA Ich bin mir sehr bewusst über die Position, die die Symphoniker als Konzertorchester Wiens einnehmen. Kein Konzert sollte hier Routine sein, das wäre der Tod musikalischer Kunst. Ich denke immer, jede heutige Herangehensweise an ein Meisterwerk sollte Neues im vermeintlich Bekannten entdecken, was das Revolutionäre, das Einzigartige ist. Das hält Musik am Leben. Großartige Orchester wie die Wiener Symphoniker sind neugierig, wollen entdecken und wiederentdecken – immer vor dem Hintergrund ihrer Tradition.
FRITZ JURMANN
Bregenzer Meisterkonzerte
20. Jänner, 19.30 Uhr, Festspielhaus – Wiener Symphoniker, Dirigent Pablo Heras-Casada (Brahms Symphonien Nr. 1 und 2)
ZUR PERSON
PABLO HERAS-CASADA
GEBOREN 21. November 1977, Granada/Spanien
AUSBILDUNG Studium Kunstgeschichte, Schauspiel und Dirigieren, Meisterkurse u. a. bei Christopher Hogwood
TÄTIGKEIT regelmäßige Gastdirigate bei wichtigen europäischen und amerikanischen Orchestern, seit 2011 Erster Dirigent des Orchestra of St. Luke’s in New York City, Mitwirkung an 27 Tonträgern