Alle Abenteuer sind noch lange nicht erlebt

Frankie
Michael Köhlmeier, Hanser, 205 Seiten
Am Sprung erwachsen zu werden – Autor Michael Köhlmeier begleitet den jungen Jack auf einem spannenden Trip.
Roman Mit „Was bist du für einer?“ eröffnet der Großvater den Dialog, der jedes Kind automatisch in die Enge treibt. Dazu scheint die Mutter den unvorbereiteten Sohn für den Großvater freizugeben und verabschiedet sich zum vereinbarten Treffpunkt für danach. Doch Frank, so heißt das Enkelkind, ein Wiener Gymnasiast, will mehr von dem unheimlichen, mysteriösen, alten Mann, der einfach kommt und geht, wie es ihm beliebt, doch überall eine Staubwolke aufwirbelt.
In Stein an der Donau sitzt man nicht wegen eines Kavaliersdelikts. Von dort wurde der Großvater jetzt eben entlassen. Es scheint, als wollte er nur wegen Frank in die Freiheit zurück, erklärt ihm, was ein Junge in seinem Alter wissen muss, zumindest noch in der Jugend des Großvaters wissen musste: Wie rasierst du dich? Wie rauchst du dir eine an? Wie drehst du mit einem Auto eine kleine Runde? – Und das mit Steigerungen, die ins Kriminelle gehen. Der Junge sträubt sich, kann sich aber nicht erwehren. Er tauscht Abenteuer gegen Unschuld, die Versuchung dem Alltag zu entkommen ist stärker, als der Pflicht nachzukommen, ein braver 14-jähriger Gymnasiast zu sein. Schlussendlich sitzt er mit seinem Großvater in einem gestohlenen, schäbigen Pkw, bekommt eine Pistole geschenkt, den Zauberstab der Unterwelt, mit dem er im Hier und Jetzt anständig Unfug machen kann, mehr als es das Gesetz erlaubt. Ob das gutgeht?
Michael Köhlmeier lässt sich auf den Jungen ein. Er taucht in seine Welt ab, schreibt in seiner Sprache und nimmt seine Denkmuster an. Es ist ein Ausbruch aus der bürgerlichen Welt mit offenem Ende, so kann man es vielleicht sagen, ohne den Roman zu spoilern. Dazwischen erkennt der Junge in sich Züge, die auch der Großvater hat. Es ist ein Spiel mit der Gewalt, ohne dass die Gewalt verherrlicht wird, sondern als Wesenszug genommen wird, nicht anders als Freundlichkeit oder Klugheit, Eigenschaften, mit denen Frank ebenso beseelt ist. Köhlmeier lässt den Figuren genug Platz zum Atmen, sodass auch der Leser seine Vorstellungskraft einbringen kann und sich eine eigene Welt rund um die Geschichte aufbaut. Es scheint geistig ein Schritt in die Jugend des Autors zu sein, was die Vitalität des Jungen betrifft, die Schritte des Jungen sind hier sehr sicher gesetzt und zugleich eben in der Welt von heute, ohne dass diese aufdringlich wirkt.
Am spannendsten sind die Situationen, wo der Junge in sich das existenzielle Sein entdeckt, das nach keinem „Warum“ schreit, sondern einer Handlung bedarf. Mark Twain oder Jack London hätten eine große Freude damit.
Das Jekaterinburg der Nullerjahre
In „Petrow hat Fieber“ nimmt der ehemalige Kfz-Mechaniker Alexei Salnikow den Leser mit in das postsowjetische Russland der Nullerjahre – genauer: in Petrows Leben. Petrow ist gelernter Automechaniker und zeichnet Comics. Er lebt mit seiner Frau Petrowa und seinem Sohn Petrow Junior in Jekaterinburg, doch der Schein eines normalen Familienlebens trügt, denn die Petrows hüten so ihre düsteren Geheimnisse. Wie der Titel bereits verrät, hat Petrow Fieber, das hält ihn allerdings nicht davon ab, ein exzessives Leben zu führen, so wird aus einer alltäglichen Busfahrt ein Kidnapping eines Leichenwagens mit seinem Freund Igor.
Salnikow fängt durch detaillierte Beschreibungen von nicht funktionierenden Lichterketten, über verschmutzte Stiegenhäuser bis hin zu maroden Trolleybussen die Schattenseiten des Russlands der Nullerjahre ein. Neben der brutal realen Schilderung der Umgebung, die für den westeuropäischen Leser wie eine fremde Welt wirkt, kommt die Mentalität der Russen stark zur Geltung. Neben dunklem Humor und knackigen Dialogen kommt der postsowjetische Zeitgeist nicht zu kurz.

Petrow hat Fieber
Alexei Salnikow, Suhrkamp, 364 Seiten
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