Eines Blickes durchaus würdig

Neue „Salome“ an der Wiener Staatsoper mit nur marginal erweiterten gängigen Sichtweisen.
Wien Mitgefilmte Aktionen auf der Bühne, die dann im Videowallausmaß jedes kleine Augenzucken zum großen Effekt werden lassen, das kennt man auf den Sprechtheaterpodien seit geraumer Zeit und auf Opernbühnen ist es nun auch schon einige Jahre gebräuchlich. Wer die Methode heute noch einsetzt, hat nach deren besonderer Konsequenz, Qualität und Stringenz zu trachten. Der französische Regisseur Cyril Teste kommt vom Schauspiel bzw. von der bildenden Kunst, ist Gründer und Leiter des Kollektivs MxM und schien für Intendant Bogdan Roščić die beste Wahl für eine Neuinszenierung des 1905 uraufgeführten Werks “Salome” von Richard Strauss an der Wiener Staatsoper zu sein.

Für einen beträchtlichen Teil des Premierenpublikums galt dies nur bedingt. Auch wer Missfallensäußerungen wenig Beachtung schenkt, weil sie zu den Traditionen dieses Hauses zählen, kann zum Schluss kommen, dass hier ohnehin gängige Sichtweisen des Stücks nur marginal erweitert wurden. Dass Herodes sein pädophiles Begehren offenlegt, wenn er sich an seinem Geburtstagsfest einen Tanz der Stieftochter wünscht, zählt zu den Gepflogenheiten einer „Salome“-Inszenierung. Den Missbrauch der Heranwachsenden hat das Publikum zum Beispiel in besonders ausgeprägter Form in der Inszenierung von Nikolaus Habjan im Theater an der Wien erfahren. Der psychologischen Verfasstheit der jungen Frau hat Romeo Castellucci bei den Salzburger Festspielen tiefgehende Aufmerksamkeit gewidmet.
Ein Befreiungsakt
Cyril Teste lässt die Vorgeschichte ein wenig stärker ins Fest hereinwehen. Salome assoziiert mit dem Gefangenen Jochanaan auch die jahrelange Folterhaft ihres leiblichen Vaters. Da er sich ihr nicht zuwendet, reift in ihr die Tötungsabsicht. Der Schleiertanz, ausgeführt mit enormer Bühnenpräsenz von der Ballettelevin Anna Chesnova, zeigt die Traumatisierung des Kindes und verdeutlicht den Versuch der Aufarbeitung. Die Liebkosung des abgetrennten Kopfes bleibt eine verstörende Szene, sie ist aber auch ein Befreiungsakt, Teste lässt Salome triumphierend – über das Patriarchat und nicht mehr nur über eine moralisch verkommene Gesellschaft – in den Tod gehen. Das funktioniert bei Ausreizung der Auslegungsmöglichkeit, die das Libretto von Oscar Wilde bietet und ob einer prononcierten Kameraeinstellung, die die Interaktionen und vor allem den Blickwechsel zwischen den Protagonisten einfängt.

Bei der Führung der weiteren Besetzung, mit der die Handlung aus der Zeit Herodes II. in eine unbestimmte Gegenwart verlegt wird, bleibt Teste allerdings beliebig. Bühnenbildnerin Valérie Grall fiel nicht mehr als ein Bankettsaal mit verschiebbaren Wänden und hohen Öffnungen ein. Auch der Blutmond aus dem Text darf sich zeigen.
Interessanter Vergleich
Maestro Philippe Jordan ermuntert zu einem interessanten Vergleich mit Kirill Petrenko, der an der Bayerischen Staatsoper in einer Warlikowski-Inszenierung, die den religiösen Aspekt hervorhob, auf die enorme Leuchtkraft der Partitur setzte. Das Wiener Staatsopernorchester erzeugte nun unter Jordan ein Flimmern, das aber an Farbigkeit nichts offen ließ und Malin Byström als Salome Raum gab, die Figur auch einmal in ihrer Widerständigkeit zu gestalten. Wärme und Kühle ohne Pathos – sie hat es drauf. Gerhard Siegel (Herodes) überzeugte mit zynischem Unterton, Michaela Schuster (Herodias) mit entsprechender Härte und Wolfgang Koch (Jochanaan) mit gut dosierter Rauheit.

Die Psychologie des Erkennens und des Blicks zur Wirkung zu bringen, ist in der neuen Wiener „Salome“ nicht gänzlich aufgegangen, weil die Opernbühne für derlei Ideen wahrscheinlich nicht der geeignete Ort ist. Eines Blickes ist die Produktion freilich würdig.
Apropos Sinne: Die olfaktorischen Inszenierungselemente eines eigens angeführten Starparfümeurs sind ein verzichtbarer Werbegag. Die Bregenzer Festspiele setzten derlei Effekte einmal bei Montemezzis „L’amore dei tre re“ ein. Es wurde nicht so viel Aufhebens darüber gemacht, aber es wirkte pointierter.
Weitere Aufführungen von „Salome“ an der Wiener Staatsoper ab 4. Februar, Live-Streaming am 12. Februar, 20 Uhr.






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