Ohne Handwerk steht vieles still

“Wenn das Handy mal nicht geht, stehen wir ziemlich blöd da.”
Andelsbuch Das Theater Mutante beschäftigt sich in ihrem aktuellen Projekt eindringlich und eindrucksvoll mit einem Berufsfeld, das unter anderen mit der gesellschaftlichen Reputation zu kämpfen hat: dem Handwerk. Immer weniger junge Menschen sind bereit, eine Lehre zu machen, immer mehr Eltern möchten ihre Kinder zumindest maturieren sehen. Die Auswirkung: ein weiter zunehmender Fachkräftemangel, obwohl sich beispielsweise die Einkommensschere zwischen Handwerkern und Akademikern immer mehr schließt. Wir haben mit dem Projektleiter Andreas Jähnert, Schauspieler, Regisseur und künstlerischer Leiter des Theater Mutante über sein Projekt “handverlesen” gesprochen.
Welche Gründe haben Sie als Theatergruppe veranlasst, sich mit dem Thema Handwerk auseinanderzusetzen?
Jähnert: Ich bin in einer Handwerksfamilie großgeworden und mit dem Mauerfall sind meine Eltern zu Unternehmern mutiert. Perfektion und Schnelllebigkeit traten in heftigster Form an mich heran. Ich wusste nicht, was diese plötzliche Veränderung mit sich bringt, und suchte bei meinem Opa in seiner Werkstatt Geborgenheit. In seiner handwerklichen Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Materialien kam bei mir das Interesse auf, diese Prozesse besser verstehen zu können.

Ein Erstaunen über handwerkliche Vorgänge setzte ein, was Gedanken und Hände für Gemeinsamkeiten und Diskrepanzen haben. Wenn ich heute spazieren gehe, kann ich beobachten, dass viele, besonders junge Menschen, an ihren Mobiltelefonen kleben. Da denke ich mir, hoffentlich verfügen sie auch über so eine Leichtfertigkeit bei einer handwerklichen Tätigkeit. Dieser Gedanke hat mich motiviert, tiefer in die Handwerkskunst einzutauchen und ein Projekt wie „handverlesen“ im Werkraum zu formen. Dazu kam die Diskrepanz der Leistungsfähigkeit zwischen dem Bregenzerwald und dem Rheintal, hier taucht eine Dichte an Handwerksbetrieben auf die weltweit einzigartig ist und in Spannung mit dem industriell geprägten Rheintal steht. Dieses Wachstum ermöglicht dem Land Vorarlberg einen großen Wohlstand, geht aber auch mit einer Saturiertheit einher.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Ihr Theaterstück beginnt in einem leeren Raum, ohne Stühle für das Publikum.
Jähnert: Ein leerer Raum, wo finden wir heute noch einen “leeren“ Wohnraum vor? Wir richten uns möglichst schnell ein, kaufen Produkte, die nach ein paar Jahren wieder ausgetauscht werden. Der leere Raum beim Projekt handverlesen dient als Symbol, greift auf, was ein Stuhl eigentlich ist. Wann wird er gebraucht?

Wer steckt eigentlich hinter der Produktion? Woher kommt dieser Stuhl, auf dem wir im Werkraum Platz nehmen? Hat den Stuhl jemand mit Händen gemacht, oder ist es ein industriell gefertigtes Produkt? Diese Fragen tauchen auf, nachdem wir sehnsuchtsvoll Platz genommen haben und dem Handwerkschor lauschen.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Ein Hauptdarsteller des Stücks meint: Früher war alles besser. Ist das so?
Jähnert: Früher konnte ich mit Freunden zusammen die Kolbenringe im Zylinder tauschen, oder das Moped tunen, dass es ein paar Km/h schneller gefahren ist. Selbst der Schlauch vom Fahrrad wurde selber geflickt, oder die Kinderzimmertür ausgehoben, um mehr Platz zum Spielen zu schaffen. Dieses „Früher“ lässt eine Gemeinsamkeit an handwerklichen Prozessen aufleben, die heute fast niemand mehr selbst macht. Es ist vielleicht eine kleine Übertreibung darin zu erkennen, aber heute kann von einem belegten Brot im Supermarkt, bis hin zum Lieferservice fürs Essen alles sofort mit dem Handy abgecheckt werden.

Diese Veränderung hat natürlich nicht nur Nachteile, aber sie hinterlässt Fragen, wie zum Beispiel, woher kommen die Dinge alle so schnell, die wir als so selbstverständlich hinnehmen? Wenn das Handy nämlich mal nicht geht, stehen wir ziemlich blöd da. Rund um uns herum herrscht dann womöglich das Gegenteil von Sicherheit, Vertrauen und Gesundheit.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Wie kann es gelingen, dass die Lehre wieder mehr Ansehen gewinnt?
Jähnert: Eltern sollten ihren Kindern ein handwerkliches Hobby in Aussicht stellen und physisch näherbringen. Ein Instrument in die Hand geben und Ferienarbeit in einem Handwerksbetrieb (zum Beispiel auf einer Alpe) ermöglichen. In den Bildungseinrichtungen wird noch immer der Stellenwert von handwerklichen Berufen gering wertgeschätzt und meist negativ an die Schüler herangetragen. Es braucht vielseitige handwerkliche Fächer in allen Bildungseinrichtungen und nicht nur für ein bis zwei Jahre. Die Lehrerbeauftragten müssten für diese Vermittlungsarbeit besser bezahlt werden, sodass die Motivation geweckt wird, welche auf die Lernenden überspringt, damit das Handwerk und die Fähigkeiten von geistiger und handwerklicher Arbeit Freude entfacht und ineinanderfließen kann.
Werden Sie sich weiterhin dieser so wichtigen Thematik künstlerisch annehmen?
Jähnert: Wir sind gerade dabei ein neues Projekt „Terrarium“ zu entwerfen, um die mannigfachen Aspekte des Handwerks und der Ausübenden zu beleuchten. Das Thema „Pflege Angehöriger“ wird dabei im Fokus stehen.
Mi 8. Februar und Fr 10. Februar
10 bis 18 Uhr Ausstellung, Film, Bewirtung
19.30 Uhr Musiktheater Performance
Sa 11. Februar
10 bis 18 Uhr Ausstellung, Film, Bewirtung
17.30 Uhr Podiumsgespräch
19.30 Uhr Musiktheater Performance
Werkraum Bregenzerwald, Andelsbuch
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.