Vorarlberger Zeitgeschichte auf der Bühne

Thomas Arzt spricht über sein Stück zu Max Riccabona, das am Landestheater uraufgeführt wird.</strong>
Bregenz Zu versuchen, die Erinnerung wach zu halten, obwohl uns Max Riccabona die Unfassbarkeit des Erzählens über den Holocaust zeigt, und dass da jemand ist, “in dem österreichische Geschichte durchweht”, das hat Thomas Arzt motiviert. Der oberösterreichische Schriftsteller (geb. 1983) erhielt vom Vorarlberger Landestheater den Auftrag, ein Stück über den Vorarlberger Autor, bildenden Künstler, Juristen und KZ-Überlebenden Max Riccabona (1915-1997) zu verfassen. Dieser Bühne hatte er vor drei Jahren den Text für „Hollenstein, ein Heimatbild“ über Stephanie Hollenstein (1886-1944) geliefert. Die Malerin aus Lustenau rang sich zu einem selbstbestimmten Privatleben mit einer Partnerin durch, war aber auch ein frühes Mitglied und Funktionärin der NSDAP. Für die Produktion des Jugendstücks „Else (ohne Fräulein)“ von Thomas Arzt wurde das Landestheater im vergangenen Herbst mit einem Stella-Preis ausgezeichnet.

„Mein Blick ist jener von weit außen. Ich bin jemand, der anhand von Sekundärquellen in die Recherche geht. Die Fülle an Material ist enorm“, erklärt Arzt zu seiner Arbeit für „Wunsch und Widerstand“ im Gespräch mit den VN. Ralph Blase, Chefdramaturg am Landestheater, habe ihm alles, was an Publikationen zu Max Riccabona zur Verfügung steht, zukommen lassen. Dazu zählt auch das Buch zur umfangreichen Ausstellung „Der Fall Riccabona“, die das Vorarlberg Museum in Bregenz vor sechs Jahren realisierte.

Sie hat auch das Umfeld der Familien der Mutter, geborene Anna Perlhefter, die jüdischer Abstammung war, sowie des Vaters Gottfried Riccabona, Präsident der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer, beleuchtet, der als Deutschnationaler zu bezeichnen ist. Es ist auch eine Geschichte der Enteignung jüdischen Besitzes, die sich in Feldkirch zutrug. Die Publikation ist, so Arzt, ein wichtiges Dokument bei der Konzipierung des Stückes gewesen: „Ich stelle mir nicht so sehr die Frage, wer Max Riccabona war, sondern wer er für andere sein sollte und wer er sein wollte.“
Spiel mit Fakten aufgegriffen
Riccabona repräsentiere für ihn Geschichte, aber auch die Verzweiflung darüber, das erzählen zu können, was war. Riccabona war im KZ-Dachau, wo er als politischer Häftling mehrere Jahre durchlitt, dem Arzt Sigmund Rascher zugeordnet, der grausame Versuche an Menschen vollzog. Er sage bei ihm den Satz „die Fantasie wächst über das Grauen hinaus”. Dass man das Leben immer neu erzählt, sei die einzige Möglichkeit, es überhaupt zu erzählen. Dass da eine Person auftritt, die im Unklaren lässt, was Wirklichkeit ist, mache sie für Arzt zur Theaterfigur. Dass Riccabona etwa James Joyce getroffen habe, wovon er oft berichtet, ist längst widerlegt. Dieses somit fiktive Treffen lässt Arzt wiederum in das Stück einfließen. Etwa durch eine Begegnung im Zug nach Dachau. „Dieses Spiel mit Versatzstücken, mit Fakten, die Riccabona selbst weitergedichtet hat, versuche ich aufzugreifen.“

Freiheit und Zwänge
Thomas Arzt umfasst in seinem Stück die Zeit von den frühen 1930er- bis in die 1960er-Jahre. Er hat Zeitungsartikel durchforstet, um den Mikrokosmos der Familien Riccabona und Perlhefter sowie die Zeit zu beleuchten, in der in Vorarlberg der Boden für den Nationalsozialismus bereitet wurde. „Wie viel Freiheit ist möglich, was sind die Zwänge, das war für mich die Frage.“ Auch der bekannte Historiker Meinrad Pichler hatte in seiner Rezension des Katalogbuches „Der Fall Riccabona“ in den Vorarlberger Nachrichten bereits angemerkt, dass es wichtig zu eruieren wäre, wie sich der Vater, das heißt, der Deutschnationale Gottfried Riccabona, der nach den nationalsozialistischen Rassengesetzen eine als Mischehe diffamierte Verbindung eingegangen war, gegenüber dem Antisemitismus in seiner Partei verhielt.

„Er ist einer, der erzählen kann. Was er zu Papier bringen konnte, ist eine andere Sache“, erklärt Arzt: „Die schriftstellerischen Arbeiten von Max Riccabona sind nicht in den literarischen Kanon eingegangen.“

Die bekannte Autorin und Literaturexpertin Ulrike Längle bedauerte in einem VN-Beitrag zum 100. Geburtstag von Max Riccabona zu Recht, dass das satirische Romanprojekt „Bauelemente zur Tragkomödie des x-fachen Dr. von Halbgreyffer oder Protokolle einer progressivsten Halbbildungsinfektion“ sowie die fragmentarischen Erinnerungen an seine Haft im KZ Dachau „Auf dem Nebengeleise“ oder der Band „poetatastrophen“ kaum noch greifbar sind. Sie verwies auch auf seine Funktion als Landesvorsitzender der Österreichischen demokratischen Widerstandsbewegung als der Riccabona nach der Nazizeit viel zum guten Verhältnis zur französischen Besatzungsmacht beitrug.

Sie erwähnt auch die Briefe an Leopold Figl, Theodor W. Adorno oder Klaus Harpprecht. Das Stück beginnt mit Riccabonas Bruch mit der beruflichen Herausforderung als Anwalt Mitte der 1960er-Jahre und endet auch wieder in dieser Zeit. Weiterführendes zu Max Riccabona wird im Rahmen einer Tagung erörtert, die das Landestheater am 23. Februar mit dem Franz-Michael-Felder-Archiv und dem Vorarlberg Museum veranstaltet.

Szene aus der Produktion "Hollenstein, ein Heimatbild" am Vorarlberger Landestheater. LT/Anja Köhler
Premiere „Wunsch und Widerstand. Eine Überlebensgeschichte“ von Thomas Arzt am 11. Februar, 19.30 Uhr, am Vorarlberger Landestheater.
„Ich bin jemand, der anhand von Sekundärquellen in die Recherche geht.“
Thomas Arzt, Schriftsteller