Wenn das Leben mäandert

Kultur / 12.02.2023 • 18:06 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Dietmar Pröll, Luzian Hirzel, Julian Sark, Nurettin Kalfa.
Dietmar Pröll, Luzian Hirzel, Julian Sark, Nurettin Kalfa.

„Wunsch und Widerstand. Eine Überlebensgeschichte“ von Thomas Arzt am Landestheater.

Bregenz Max Riccabona: Ein Name wie ein Donnerhall. Zumindest für diejenigen, die ihn noch kannten und das Glück hatten, wie der Autor dieser Zeilen, seinen Ausführungen im Café Neptun oder in der Weinstube „s’Eck“ zu lauschen.

Der oberösterreichische Schriftsteller Thomas Arzt hat aus der unglaublich bewegenden Biografie des DDr. Max Riccabona (zu Reichenfels) ein Theaterstück verfasst. Schriftsteller, Jurist, KZ-Überlebender, Geheimagent, Ex-Ministerkandidat, Collagen-Künstler, Kunstfigur. Ein Leben aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und Fantasien. Diesem gerecht zu werden, ist nahezu unmöglich. Ein Balanceakt der Superlative. Zu vielschichtig, ein Zuviel an Unschärfen, die in Riccabonas Biografie auszumachen sind. Die anekdotische Evidenz, das Hörensagen, das Bauchgefühl, verdrängen die empirische Evidenz, den wissenschaftlichen Beweis.

Regisseur Stefan Otteni macht das einzig Richtige. Er lässt das Leben Riccabonas revueartig an den Zuschauern vorbeiziehen. Mit der dafür notwendigen Distanz. Der jugendliche sowie der alternde Max (Luzian Hirzel, Dietmar Pröll) machen sich auf die Suche in seiner Erinnerung. Wo nahmen die Dinge ihren Anfang, wo ihren Lauf? Die Bühnenfiguren Riccabona (jung/alt) betrachten ihr Leben und wir sind eingeladen, daran teilzunehmen. Wie an einer Perlenschnur aufgefädelt sind Riccabonas Lebensstationen. Das Lebenskarussell des Max Riccabona nimmt Fahrt auf, und lässt nicht nur in ausgesuchten Schattierungen Heiteres und Ernstes, auch Unsagbares an uns vorbeiziehen. Dann und wann Zeitsprünge, der Kunstgriff der Retrospektive ermöglicht ein Schauspiel, dem gut zu folgen ist. Viel Platz wird der Juristerei eingeräumt. Vater Gottfried „Kuno“, Präsident der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer, Lyriker, ausgezeichneter Klavierspieler (spielte u. a. mit Alexander von Zemlinsky und Ernst von Dohnányi), Wagnerianer, Deutschnationaler, erscheint gleich im ersten Auftritt als übergroße, kafkaeske Vater/Richterfigur, die sich hinter einem riesigen Aktenregal auftürmt und dem Sohn/Anwalt das Mandat entzieht.

Großartiges Ensemble

Vater, Mutter, Schwester, Onkel Max Perlhefter, Johann Rhomberg, Gesellschafter der Firma Perlhefter und Co., Josef Oktabeetz, Kompagnon in der Anwaltskanzlei von Gottfried Riccabona, der NS-Bürgermeister von Feldkirch, Erwin Hefel.Und dann noch James Joyce, der KZ-Arzt Rascher, der Barkeeper, der auch Therapeut sein könnte, ein Pianospieler, die Liebe als Allegorie und die Frauen von Feldkirch, die an die drei Hexen von Shakespeares Macbeth sowie an einen griechischen Theaterchor erinnern. Sie sagen zwar nicht die Zukunft voraus, sind nicht Mahnerinnen, aber sie intonieren „O Hoamatle“ und „Müsle gang ga schlofa“, zwei der bekanntesten Gesangsstücke Vorarlberger Liedguts. Man kann darüber nachdenken. Das ganze Ensemble ist perfekt aufeinander abgestimmt und eingestellt. Intendantin Stephanie Gräfe meinte, es wäre gut gewesen, wenn noch ein bis zwei Schauspielerinnen mehr zur Verfügung gestanden wären. Mitnichten. Herausragend Silke Buchholz in ihrer Rolle als Mutter/James Joyce/Die Liebe, aber auch Maria Lisa Huber als Schwester Dora/Onkel Max/Josef Oktabeetz. Sie verkörpert jene Schwester Dora, wie sie der wirkliche Max Riccabona immer sah, als seine beste Freundin. Prächtig und erschreckend zugleich der Auftritt von Nurettin Kalfa als NS-Bürgermeister Erwin Hefel, wenn hinter ihm langsam die Sonne aufgeht, oder ist es doch eine allesverschlingende Supernova, die alles mit sich in den Abgrund reißt.

Freibeuter

Die beiden „Maxe“, gut herausgearbeitet, manchmal zu nonchalant der alternde Max, zeigen dann stark auf, wenn die Revue zur Farce wird, wie im „Piratenintermezzo“. Nicht nur die Riccabonas, auch die monegassische Fürstenfamilie berufen sich auf Freibeuter. Der Vater/KZ-Arzt/Richter ist mit Julian Sark hervorragend besetzt. Zum Schluss die Liebe, die etwas zu aufgesetzt und einem Deus ex machina gleich vom Schnürboden schwebt, in eine „Welt, die eine verbitterte Zufallsmaschinerie ist“. Empfehlenswert. Langanhaltender Applaus.

Spannendes Stück über einen Schriftsteller, Juristen, KZ-Überlebenden, Geheimagent, Ministerkandidat und Künstler. Anja Köhler
Spannendes Stück über einen Schriftsteller, Juristen, KZ-Überlebenden, Geheimagent, Ministerkandidat und Künstler. Anja Köhler
Nurettin Kalfa, Dietmar Pröll.
Nurettin Kalfa, Dietmar Pröll.

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