Zum Kern des Dramas vorgedrungen

Kultur / 24.02.2023 • 14:25 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Nächtliche Party mit Bloßstellungseffekt: "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" von Edward Albee im Theater Kosmos. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Nächtliche Party mit Bloßstellungseffekt: "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" von Edward Albee im Theater Kosmos. Klaus Hartinger

Theater Kosmos lässt das wenige Aktuelle an Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ gut aufglimmen.

Bregenz Auf dem 1962 uraufgeführten Bühnenklassiker „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ von Edward Albee liegt Patina. Keine Frage. Eine kinderlose Ehe beeinträchtigt längst nicht mehr den beruflichen Aufstieg eines Mannes bis ganz nach oben. Das straff geordnete Familienleben und der Nachweis der Virilität scheint auf der Liste der Qualifizierungsnachweise nicht mehr auf. Die Eliminierung eines Rollenverständnisses, das vorsieht, dass Frauen diesbezüglich kein Hindernis darstellen sollten, zählt zu den positiven Errungenschaften der gesellschaftlichen Entwicklungen, die bereits in den 1970er-Jahren angestoßen wurden. Diesbezüglich ist es dumm gelaufen mit dem Stück, sorry Albee.

Hubert Dragaschnig als George, Kojla Heiss als Nick, Kaija Ledergerber als Honey und Sabine Lorenz als Martha. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Hubert Dragaschnig als George, Kojla Heiss als Nick, Kaija Ledergerber als Honey und Sabine Lorenz als Martha. Klaus Hartinger

Im von Augustin Jagg und Hubert Dragaschnig geleiteten Theater Kosmos wurde „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ nun als eines jener Stücke angesetzt, mit denen das Bregenzer Unternehmen sein Image als Erst- und Uraufführungsbühne gelegentlich durchbricht. Gebongt. Die heutige Attraktivität des Stückes lässt sich daraus herleiten, dass die Beleidigungen und Demütigungen, die Martha und George einander vor ihren Partygästen liefern, derart unverfroren sind und derart weit gehen, dass dieses böse Spiel im Spiel immer noch die Schaffung von Persönlichkeitsstrukturen zu hinterfragen vermag.

Das kommt dem Werk zugute

Wer „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ vor allem als zermürbenden Ehekrieg auslegt, der hat ohnehin verloren. Mögen die Fetzen noch so fliegen und mag der Alkohol derart in Strömen fließen, dass sich das Publikum ob der Reihe der im Laufe der Nacht geleerten Flaschen mit Hochprozentigem ins Staunen versetzen lässt und die Oberfläche beglotzt anstatt die Substanz. Augustin Jagg, der das Stück selbst inszenierte und auch den Raum ausstattete, tut gerade das nicht. Gut gelaufen. Mit der Aufteilung des Stücks in die ursprünglichen Teile Gesellschaftsspiele, Walpurgisnacht und Austreibung bzw. Exorzismus und einer über zweistündigen Dauer erzeugt er zwar für jene ereignislose Längen, die im Eindruck der Verfilmung mit Elizabeth Taylor und Richard Burton oder exzessbetonter Inszenierungen stehen, sich nicht im lauten Bereich des verbalen Waffenarsenals zu bedienen, kommt dem Werk jedoch zugute.

Freilich ist Sex in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ein Thema.<span class="copyright"> Klaus Hartinger</span>
Freilich ist Sex in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" ein Thema. Klaus Hartinger

Der Inhalt dürfte bekannt sein: Martha, Tochter eines Universitätspräsidenten, kommt mit George, dem nur mittelmäßig erfolgreichen Geschichtsprofessor, von der Institutsparty und hat mit Nick und Honey noch nächtliche Gäste geladen. In der Entblößung der beiden spiegelt sich auch das Drama des noch am Berufsstart stehenden Paares. Was als Spiel angelegt ist, führt zum Zerplatzen der Lebenslüge. Martha hat mit der Erwähnung des gemeinsam imaginierten Sohnes das letzte Tabu gebrochen. Die Revanche von George ist vernichtend: Er lässt ihn sterben.

Die Bühne hat Augustin Jagg selbst geplant, die Kostüme hat Nicole Wehinger entworfen. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Die Bühne hat Augustin Jagg selbst geplant, die Kostüme hat Nicole Wehinger entworfen. Klaus Hartinger

Diffamierungslust

Augustin Jagg erspart uns die Betonung des kathartischen Effekts. Auf seiner gut abstrahierten Plüschsofabühne lässt er auch ohne sichtbare Morgendämmerung etwas Hoffnung zu. Auf dieses Bild steuert er gut hin, wenn Sabine Lorenz als Martha gar nicht so sehr ihre Überlegenheit und eine Verbitterung ausspielt, sondern eine Diffamierungslust. Sie streckt George im Wissen nieder, dass er in der Lage ist, immer wieder aufzustehen und hat in Hubert Dragaschnig einen Partner, den die Angriffe in seiner Perfidie zwar steigern, der dies aber nicht offen vor sich herträgt.

Am Ende lässt auch Regisseur Augustin Jagg Hoffnung zu. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Am Ende lässt auch Regisseur Augustin Jagg Hoffnung zu. Klaus Hartinger

Trotz ihrer etwas undankbaren Rolle gelingt es Kaija Ledergerber als Honey in den ihr zur Verfügung stehenden Momenten in dieses feingestrickte Psychogeflecht gut einzusteigen, Kolja Heiss braucht als Nick einen etwas längeren Anlauf, ist aber gut präsent im Gesamtbild dieser Kosmos-Produktion, die (unterstützt von den leicht akzentuierenden Kostümen von Nicole Wehinger und der Musik von Herwig Hammerl) zum Kern des Dramas vordringt. Er ist hier nicht vom Ergötzen an Hemmungslosigkeit überschattet, sondern stellt die Frage nach dem Ausmaß der Beeinflussung von Persönlichkeitsstrukturen durch gesellschaftliche Konventionen. Hier glimmt das wenige Aktuelle eines Klassikers auf.

Mit Blumen startet George den letzten Verteidigungsakt. <span class="copyright">Klaus Hartinger</span>
Mit Blumen startet George den letzten Verteidigungsakt. Klaus Hartinger

Weitere Aufführungen von “Wer hat Angst vor Virginia Woolf?” im Bregenzer Theater Kosmos am 25. Februar sowie am 3., 4., 5., 8., 10., 11., 12., 17. und 18. März, werktags um 20 Uhr, sonntags um 17 Uhr. Dauer: zweieinhalb Stunden, eine Pause.

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