Zwischen genial und an der Grenze

Auf frischer Tat
Johan Harstad, Rowohlt, 254 Seiten
„Auf frischer Tat“ nennt sich der dubiose Roman von Johan Harstad, der eigentlich ein Krimi sein sollte.
SATIRE Frisch ist Privatdetektiv in Stavanger, einer Küstenstadt in Norwegen. Er ist mit einem 6. Sinn ausgestattet, der ihn buchstäblich zu den Verbrechen führt, dazu hat er die Intelligenz, in Windeseile zu kombinieren. Maigret und Sherlock Holmes würden gegen Frisch alt aussehen. So gut wie alle überführten Verbrecher verneigen sich vor ihm mit folgendem Satz: „Du bist einfach zu gut, Frisch. Viel zu gut.“ Die Fälle haben eine ganz eigenartige Dramaturgie, sie sind am ehesten mit Mickey Spillanes Mike Hammer, im Idealfall in der Besetzung von Stacy Keach, oder auch mit „Kottan ermittelt“ zu vergleichen, mit den Drehbüchern von Helmut Zenker kommt man hier gut weiter. Man kann auch einen Schritt weitergehen, dann ist man auch schon bei Nick Knatterton angelangt. Das Zauberwort heißt Satire. Ein gewisser „literarischer Starrsinn“ ist auch zu erkennen, aber hier sind wir bereits mitten im Geschäft. Es wird jetzt etwas schwieriger: Der Autor selbst tritt für den Roman in den Hintergrund. Er erfindet einen zweiten Autor, einen gewissen Frode Brandeggen, der den Roman geschrieben haben soll. Ein erfolgloser norwegischer Autor, dessen avantgardistisches Debüt mit über 2000 Seiten keinen Anklang fand, nun mit dem satirischen Krimi sein Glück versuchen wollte und schlussendlich verhungerte. Die Konsequenz des Autors legitimiert hier das Werk, könnte man behaupten, für Harstad ist das aber nur der Aufschlag zum zweiten Teil des Buchs, denn nach dem Ende des Romans kommt der Anhang, wo die Fußnoten erklärt werden. Der Anhang ist hier mindestens so seitenstark wie der Roman und bescheinigt Brandeggen ein großer und zugleich verkannter Autor zu sein. Der Verfasser ist der ebenso frei erfundene Literaturwissenschaftler Bruno Aigner aus Dresden, der den Roman und auch sein Gesamtwerk glaubhaft kommentiert und so quasi den Raum um den fiktiven Autor herum gestaltet. Mit Kritik am Literaturmarkt wird ebenfalls nicht gespart. Dazu spielt sich Harstad mit dem Schicksal des Unvollendeten. Der Roman scheint wie ein Logbuch eines Forschers zu sein, das eben mit dem Tod auf einer fernen Expedition endet. Viel Lärm um nichts? Ja und nein. Natürlich kann man über die Struktur der Kriminalliteratur oder auch die des Romans immer wieder diskutieren, auch der Literaturmarkt muss nicht heiliggesprochen werden. Warum der Autor das Buch nicht tatsächlich unter einem Synonym herausgebracht hat, ist fraglich. Der Umgang mit Schein und Sein wäre griffiger gewesen.
Mit der Bahn durch Österreich
Einem komplett anderen Thema – nämlich dem Zugfahren – widmet sich Markus Köhle in seinem Debütroman „Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts“. Lukas geht mit dem Zeitgeist und ist fanatischer Zugfahrer. Der in Wien lebende Tiroler ist Mitte 40, Texter und Poetry-Slammer, was ihn rund um die Welt, ja sogar bis nach Tiflis, führte. Der Leser begleitet Lukas auf seinen Zugreisen im Speisewagen und lernt mit ihm nicht nur die unterschiedlichsten Orte Österreichs kennen, sondern auch andere Reisende, darunter die Kellnerin Tunja, den Start-up-Gründer „Ivo oder Mo“, die ihr Outing plant. Lukas bekommt eine Anfrage, ein literarisches Werk über seinen Heimatort Nassereith zu schreiben und steht im Zwiespalt – soll er den Auftrag annehmen? Köhler schafft mit seinem Debütroman eine Fusion aus dem Zeitgeist der Gen-Z, Austria in a Nutshell, der Stadt-Land-Kluft und Coming-of-Age. Dabei fängt der Autor abseits von humorvollen Wortspielen und der Ernsthaftigkeit aktueller Zustände, die Vielseitig- und Andersartigkeit der Generationen im gemeinsamen, verbindenden Moment des Zugfahrens ein.

Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts
Markus Köhle, Verlag Sonderzahl, 239 Seiten
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