Vom Kleinhändler zum Großindustriellen

Die Stadt Feldkirch hat kürzlich den Levner Weiher gekauft, um den natürlichen Zustand dieses Biotops zu erhalten. In unmittelbarer Nähe befand sich einst das Levner Bädle, das im 19. Jahrhundert kaum mehr als Heilbad, sondern vielmehr als Ausflugsgaststätte populär war. Zu Beginn der 1860er-Jahre pachtete das Ehepaar Johann Georg Elbs und Katharina Heinzle das Gasthaus, das sich mittlerweile im Besitz des Fabrikanten Carl Ganahl befand. Elbs, gelernter Bäcker, stammte aus Kennelbach, seine Gattin aus Götzis. Hier in Levis wurden ihre beiden Kinder, Rosina 1865 und Johann Georg 1866, geboren. Abgesehen von diesem Familienglück bereitete ihnen der Levner Aufenthalt, im besonderen der Gastbetrieb, mehr Ärger als Freude. Das vom liberalen Patron Ganahl engagierte Pächterehepaar geriet bald mit dem örtlichen Pfarrer in Konflikt. Als die Wirte im Sommer 1865 eine „Tanzmusik“ abhielten, wurden sie erstmals vom Pfarrer angezeigt. Wenn den Sonntagsausflüglern schon das Tanzen untersagt wurde, versuchte Frau Elbs mit „Kegelscheiben“ für Unterhaltung und Gäste zu sorgen. Das ging eine Saison gut, im darauffolgenden Sommer setzte der Pfarrer bei der Behörde durch, dass erst nach dem sonntagnachmittäglichen Rosenkranz gekegelt werden durfte. Nach dieser neuerlichen, als Schikane empfundenen Einschränkung entschloss sich das Paar zur Auswanderung nach Amerika. Am 29. Mai 1867 landeten sie mit ihren beiden Kleinkindern nach zehntägiger Fahrt im Zwischendeck und zusammen mit einer Gruppe aus Hard glücklich in New York.
In der Stadt Rochester im Staate New York, wo sich bereits einige Personen aus Vorarlberg niedergelassen hatten, fand die vierköpfige Familie Elbs eine neue Heimat. Wie für die meisten Neuankömmlinge war der Start in der Neuen Welt nicht einfach. Johann Georg Elbs versuchte sich zunächst in seinem erlernten Beruf als Bäcker, dann als Vieh- und Heuhändler. Wirten wollte er nicht mehr, nachdem der Alkoholausschank in Amerika von puritanischen Eiferern, politischen wie religiösen, behindert und verfemt wurde. Schließlich fand er ein Auskommen als Lebensmittelhändler. Als Spezialität gab es im Laden der Familie Elbs eingelegtes Obst und Gemüse. Auch der Handel mit Eiern bot – besonders in der Osterzeit – eine zusätzliche Einnahmequelle. Schon gleich nach seiner Ausschulung musste Johann Georg Elbs junior im elterlichen Geschäft anpacken. Geboren am 9. April 1866 in Altenstadt war er als einjähriges Kleinkind nach Amerika gekommen und wurde hier nun John George gerufen. Es gehörte zu seinen Aufgaben, mit Pferd und Wagen bei den Farmern der Umgebung Eier abzuholen und in kleinen Tranchen an städtische Haushalte zuzustellen. Da die Straßen holprig und die Wagenräder ungefedert waren, gingen bei diesen Transporten viele Eier zu Bruch. Sie lagen in Körben und Kisten, die nur mit etwas Stroh ausgelegt waren. Nachdem der Händler weder von den abgebenden Bauern noch von der kaufenden Kundschaft für den Schwund entschädigt wurde, sann der junge Elbs auf Abhilfe. Der Eiertransport musste sicherer gemacht werden. Schon zuvor hatte der findige Bursche mit Verpackungsmaterial für Lebensmittel experimentiert und zusammen mit einem Geschäftspartner eine Firma gegründet, die Papiertüten, Schachteln und Säcke aus unterschiedlichen Materialien herstellte. Ab etwa 1890 widmete er sich intensiv der Herstellung eines Eierständers, der praktisch, stapel- und tragbar, sicher und leicht sein sollte. Nach zahlreichen Versuchen entschied er sich schließlich für eine Vorrichtung mit stabilem Rahmen aus leichtem Holz. Das Innenleben bestand aus Jutekarton, der aus der Rinde indischer Jutebäume gepresst wurde. Ähnlich der Pappe war dieses Material leichter, weicher und elastischer als Holz. Die Träger enthielten zwölf Fächer mit jeweils einem kreisrunden Loch in der Mitte, in das die Eier gestellt wurden.
Um seine praktische Erfindung unter die Kaufleute zu bringen, organisierte Elbs Vorführungen, in denen ein Wagen, beladen mit gefüllten Eierständern durch eine ausgesucht schlechte Straße rumpelte. Am Ende durften zwei Kinder aus zwei beliebig ausgewählten Behältnissen je ein Ei entnehmen und aufschlagen, um zu beweisen, dass nicht etwa Gipseier in den Ständern waren. In Chicago ließ er vor einer besonders großen Zuschauerschar eine leichte Kutsche über einen gefüllten Eierständer fahren. Keines der Eier war beschädigt. Das machte Eindruck, steigerte den Verkauf und überzeugte auch die Patentbehörde, die sich mit verschiedenen Auflagen bis 1902 geziert hatte, den Elb’schen „Star Egg Carrier“ als landesweites Patent anzuerkennen. Zehn Jahre später konnte die Firma Elbs in einer Werbeschrift vermelden, dass mittlerweile etwa 70 % aller Eierproduzenten und Lebensmittelhändler in den USA und in Kanada ihren Eierständer benutzten.
Bald aber begnügte sich der reich gewordene Verpackungsfabrikant nicht mehr mit der Herstellung der Hüllen. Seit 1910 produzierte er mit den „Woodcock Macaroni“ auch ein Lebensmittel. Dabei bewies er wiederum, dass ein gezieltes Marketing besonders bei der Produkteinführung unabdingbar war. Um wenige Cents wurde den Kundinnen eine Broschüre angeboten, in der 50 verschiedene Zubereitungsarten für die Teigwaren beschrieben wurden. Die Waldschnepfe (woodcock) als Markenname, mit der im Amerikanischen auch Einfachheit (bzw. Dodelei) assoziiert werden konnte, befriedigte Elbs aber nicht. Deshalb kreierte er die Produktbezeichnung „Elbo Macaroni“; das entsprach einer Italienisierung seines Namens. Schließlich aber wollte er mit der Weiterentwicklung zu „Elbow Macaroni“ auf die Krümmung seiner Hörnchennudeln hinweisen. Damit schuf er weit über sich und seine Zeit hinaus den Namen für eine Nudelart in Amerika.
Nach der Erfindung der Eierständer aus Pappe und einigen gewonnenen Patentprozessen hatte Elbs seine Schäfchen bereits im Trockenen. Und rechtzeitig hatte er die Eier-Seite gewechselt. Der zuvor die Eier vor dem Zerbrechen geschützt hatte, kaufte nun billige Brucheier für die Produktion seiner Teigwaren.
Durch seine erfolgreichen Unternehmungen war John G. Elbs bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein gemachter Mann geworden. Geschäftlicher Erfolg wurde in Amerika nicht ungern mit dem Bau eines repräsentativen Hauses sichtbar gemacht. George Eastman, Gründer und Inhaber der Firma Kodak und reichster Mann von Rochester, hatte als Zufahrt zu seiner Villa im Grünen einen Boulevard anlegen lassen. An dieser Straße wollten nun alle, die es sich leisten konnten, residieren. Auch John G. Elbs. Obwohl seine 1891 mit Elisabeth Zweigle geschlossene Ehe kinderlos geblieben war, verfügte die neue Villa an der Eastman Avenue über etwa 300 m2 Wohnfläche und dient heute als Appartmenthaus. In einem Trakt wohnte seine verwitwete Mutter Katharina Elbs-Heinzle, die auf diese Art noch in den Genuss von Komfort und Personal ihres aufgestiegenen Sohnes kam. 1910 besuchte er mit seiner Mutter Vorarlberg. Auch sein Schwiegervater profitierte vom Geld des John Elbs. Dieser unterstützte den Ausbau der Metzgerei Zweigle zu einer Wurstfabrik.
Während des Ersten Weltkriegs erwarb John G. Elbs ein Gestüt in Kentucky. Hier hatte sich das Zentrum des amerikanischen Trabrennsports etabliert. Nachdem er mit der Herstellung von Verpackungsmaterial und Teigwaren reich geworden war, verschrieb sich Elbs nun dem Pferdesport. Dieser war seit der Jahrhundertwende zu einem großen Geschäft angewachsen, nachdem die Halbwelt der Großstädte in das Wettgeschäft eingestiegen war und dadurch enorme Preisgelder für die Besitzer schneller Pferde zu lukrieren waren. Um die Mitte der 1920er-Jahre besaß Elbs einen der erfolgreichsten Rennställe, dessen Pferde 1923 über 20.000 Dollar an Preisgeldern einbrachten. Das entspricht heute ca. drei Millionen US-Dollar. Sein erfolgreichstes Pferd war die Stute Tillie Brooks, die 1924 hintereinander elf große Rennen gewann und als erstes Trabrennpferd die Meile unter zwei Minuten lief. Elbs aber war kein sentimentaler Pferdeliebhaber, sondern Geschäftsmann. Noch am Ende des Erfolgsjahres 1924 verkaufte er Tillie Brooks um die Rekordsumme von 18.000 Dollar und an derselben Auktion zusätzlich drei junge Pferde aus seiner Zucht für weitere 8000 Dollar. Nach dem mehrjährigen Ausflug in die Welt des Pferdesports wandte sich Elbs verstärkt dem Realitätengeschäft zu. Auf dem weitläufigen Areal der ehemaligen Teigwarenfabrik befindet sich heute das größte Self Storage Mietlager der Stadt. Wo einst produziert wurde, wird heute der materielle Überfluss abgelegt.
Im April 1936 verstarb John G. Elbs nach längerer Krankheit. Der Sohn einer kleinen Ladnerfamilie aus Levis war durch Fleiß, Erfindergeist und unternehmerisches Gespür zu einem reichen Mann geworden. Sein Name lebt in den „Elbow Macaroni“ weiter. Er sei nicht nur geschäftstüchtig, sondern auch umgänglich und großzügig gewesen, wurde ihm nachgesagt. Dass er Gegensätzliches miteinander verbinden konnte, bewies er mehrfach; etwa als Mitglied einer Freimaurerloge und gleichzeitig als Kirchenrat und Gönner der katholischen St.-Josephs-Pfarre von Rochester. Auch mit seiner doppelten Identität wusste er umzugehen: Im Alltag ganz Amerikaner, verbrachte er gemütliche Feierabende im Deutschen Club, den er etliche Jahre auch präsidierte.



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