Ich muss nicht Flamenco tanzen, ich bin es

Die Israel Galván Company gastierte mit der österreichischen Erstaufführung „Seises“ beim Bregenzer Frühling.
BREGENZ Nach 2015 und 2017 beehrte die Israel Galván Company zum dritten den Mal das Tanzfestival Bregenzer Frühling. Mit seinen einzigartig dargebrachten Zapateados, die die Präzision eines Schweizer Uhrwerks übertreffen, und einer unglaublichen Körperbeherrschung bis in die Fingerspitzen, bis in die letzte Faser seines Körpers, hat sich Israel Galván endgültig zu den größten seines Fachs wie Antonio Ruiz Soler, El Farruco oder Antonio Gades getanzt. Die Choreografie hätte nicht ausgefeilter, der Tanz nicht präziser, die musikalischen und vokalen Darbietungen nicht einfühlsamer, die Soundinstallation nicht subtiler sein können. Um es vereinfacht auf den Punkt zu bringen: best ever!
Große Tradition
„Seises“ bezieht sich auf den „Baile de los Seises“ (Tanz der sechs), der ursprünglich von sechs Chorknaben vor dem Hauptaltar, dem größten Altarretabel der Welt, in der gotischen Kathedrale von Sevilla aufgeführt wird, in Kostümen, deren Entwürfe aus dem 16. Jahrhundert stammen. Diese farbenfrohen Figuren führen diesen Tanz dreimal im Jahr zu besonderen katholischen Festtagen auf. Nicht nur in Andalusien, sondern auch im übrigen Spanien haben Tänze zu speziellen Feiertagen (Fronleichnam, Mariä Empfängnis, Karwoche etc.) eine große, legendäre Tradition.
Flamenco, das ist nicht nur Tanz, Flamenco ist eine Lebenseinstellung, eine Geisteshaltung und wie Galván sagt: „Flamenco is a way of being, in a free way.“ Flamenco, das ist der Duft von Orangen, sind Kastagnetten, ist Bata de cola (Schleppkleid), ist die Giralda (Wahrzeichen und ehemaliges Minarett der Moschee von Sevilla), sind Manuel de Falla, Diego Velazquez, Alessandro und Domenico Scarlatti sowie die Cucarachas. Flamenco ist Andalusien, Flamenco ist der Tod und das Leben, aber auch die Komik und der Humor sowie die Satire. Und „Flamenco ist auch sexy“, wie Galván bemerkt. „Seises“ ist für das Publikum eine unglaublich dicht inszenierte Choreografie, eine Soundinstallation, ein Kammerspiel, ein Kunstwerk. Manchmal vielleicht etwas zu ausufernd, man hätte um Nuancen kürzen können, um es noch kohärenter, konsequenter und beherzter erscheinen zu lassen. Zwischenapplause des Publikums honorieren die meisterhaften Darbietungen.
Jugendchor Calypso
Niemand bietet eine so exaltierte, gestylte Erscheinung auf einem Ergometer wie Israel Galván, oder fährt einmal so federleicht und elegant auf einem Scooter über die Bühne. Niemand arbeitet mit einer so stakkatohaften Beinarbeit und bleibt trotzdem mit dem Oberkörper in einer majestätisch noblessen Balance, die ihresgleichen sucht. Komplexe Flamenco- und Zapateado-Nummern sowie perfektes tremolierendes Kastagnettenspiel, die von Galván und Ramón Martinez ausgeführt werden.
Die Live-Musik spielten der Pianist Gerard Bouwhuis und die Cembalistin Daria van den Bercken mit einigen der bezaubernden Sonaten von Alessandro und Domenico Scarlatti und einer Komposition von Padre Antonio Soler ein. Helena Astolfi kommentiert das Ganze gebetsmühlenartig: Federico Lorcas Gedichte über die Liebe und den Tod, eine nahezu komplette Liste an Martyriumstorturen, die selbst die Märtyrer-Fresken von Santo Stefano Rotondo in Rom verblassen lässt. Olé!
Und dann zur Überraschung aller, am Schluss der Auftritt des Jugendchors Calypso mit „O Hoamatle“, dem „Kuckuckslied“, „Pie Jesu“ (Gütiger Jesus) und „Viva Sevilla“. Israel Galván ließ dazu seine Beine sprechen. Galván geht es um Authentizität, in allem. Um das Echte, das Unverfälschte, um das Unsichtbare sichtbar zu machen, das Wesen jeder großen Kunst. Das Publikum war begeistert. THS

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