Das Abenteuer Orgel

Weltmeister Thierry Escaich gab dem Instrument bei der Chopin-Gesellschaft gehörig die Sporen.
FELDKIRCH Wer sagt denn, dass Orgelmusik unbedingt langweilig sein muss? Das Gegenteil ist der Fall, wenn man einen Weltmeister wie den Franzosen Thierry Escaich ans Werk lässt. Bei seinem Vorarlberg-Debüt am Freitag in der Kapelle der Stella Privathochschule entpuppt sich der 58-Jährige als quirliges Energiebündel von höchster Kompetenz in allen Orgelbelangen, mit Anspruch an die eigene Perfektion und einem enormen Sinn für Klänge. So zündet er die dortige Pflüger-Orgel, stellt ihre vielen schönen Einzelregister vor, die sich zum strahlenden Plenum bündeln lassen und so den Umgang mit der Orgel zum spannenden Abenteuer machen. Da das Instrument jedoch über keine Setzeranlage verfügt, stehen dem Interpreten die beiden am Landeskonservatorium ausgebildeten Organistinnen Julia Rüf und Yuka Kitano als Registrantinnen zur Verfügung.

Die Basis seines Konzertprogramms, das er in wenigen Stunden an der ihm unbekannten Orgel vorbereitet und einregistriert hat, bildet französische Orgelliteratur des 20. Jahrhunderts als sein ausgewiesenes Spezialfach. Dass er neben eigenen Orgelwerken auch noch das Kunststück fertigbringt, spontan über vorgegebene Themen von Frédéric Chopin zu improvisieren, ist eine Reverenz an den Veranstalter, die Chopin-Gesellschaft Vorarlberg. Deren Vorstandsmitglied Anselm Hartmann führt in das beziehungsreich aufgebaute Programm ein, das bewusst mit einem Klassiker der deutschen Orgelromantik beginnt, Mendelssohns erster viersätziger Orgelsonate von 1844. Das epochemachende Werk wird zur prägenden Vorgabe, auch wenn der letzte Satz durch deutlich überzogenes Tempo in seiner Schönheit und Aussagekraft beeinträchtigt wird.
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Der zweite Orgelchoral h-Moll aus 1890 von Frankreichs Altmeister César Franck versöhnt in konsequent logischer und klarer Ausführung der Chaconne mit ihrem Ostinato-Thema im Pedal, auch wenn hier durch die Disposition der Orgel doch Wünsche für eine klanglich authentischere Wiedergabe offenbleiben.

Zwei „Evocations“ („Beschwörungen“) aus Escaichs über einhundert Kompositionen legen in raffinierten Klangmischungen Zeugnis ab von der sehr persönlichen, traditionsgebundenen und doch nach oben offenen Tonsprache des Organisten. Eine innige, in verschleierte Klänge verpackte Méditation von Louis Vierne leitet über zum virtuosen Glanzpunkt dieses Abends, der von Organisten gefürchteten, als kaum spielbar geltenden Toccata op. 5 von Maurice Duruflé, die man des Öfteren auch in bemerkenswerten Versionen von unserem Helmut Binder in Herz-Jesu gehört hat.
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Schade, bei allem Respekt vor seiner glänzenden Technik, dass Escaich dieses Werk als eine Art Geschwindigkeitsrekord auffasst und damit Grenzen der Verständlichkeit überschreitet.

Schließlich kommt auch der berühmte Improvisator zu Wort. Während seine freien Gedanken über Chopins c-Moll-Prélude in fantasievollen harmonischen Rückungen und klanglichen Veränderungen eng am erkennbaren Thema bleiben, erhebt und weitet sich Escaichs zweite Improvisation als Triptychon über eine Fantasie f-Moll und eine Polonaise cis-Moll von Chopin mit zupackend, fast aggressiv verarbeitetem Klangmaterial brillant zu selbstbewusster Eigenständigkeit, macht auch mit höchster Lautstärke mächtig Eindruck. Der freche Jazzakkord am Schluss wirkt da wie ein Ausrufezeichen. Eine schmale Zuhörerschaft verliert sich fast in der Kapelle, umso übermächtiger der Applaus.
FRITZ JURMANN
Nächstes Konzert der Chopin-Gesellschaft: 5. Mai, 19.30 Uhr, Pförtnerhaus Feldkirch: David Helbock, Klavier