Mozart als Allheilmittel

Stuttgarter Kammerorchester unter Thomas Zehetmair zeigte neue Programmstrukturen auf.
Von Fritz Jurmann
DORNBIRN Was tut ein findiger Konzertveranstalter, um sein potenzielles Publikum abends vom Fernsehen wegzulocken – etwa Kulturamtsleiter Roland Jörg die Besucher seiner Reihe Dornbirn Klassik? Ganz einfach: Er greift zu Mozart, dem populärsten aller Allheilmittel. Dabei gruppiert er freilich nicht bloß eine Auswahl der unsterblichen Werke als musikalischen Gemischtwarenladen, sondern bringt für die Feinspitze im Publikum auch Struktur ins Programm. Vergebliche Liebesmüh! Am Montagabend blieben bei Mozart ganze Reihen im Kulturhaus frei, während das Montagsforum wegen des großen Andrangs zuletzt einen zweiten Termin ansetzen musste. So ungerecht kann das Schicksal sein.
Auch die Tatsache, dass Kurator Jörg an diesem Abend extra für Dornbirn neues künstlerisches Personal engagiert hatte, das für eine authentische, inspirierte und mitreißende Wiedergabe des Mozartrepertoires sorgte, war für den Besuch offenbar nicht von Belang.

So blieb es den Anwesenden im immerhin respektabel besuchten Saal vorbehalten, Mozart vom Feinsten in vollen Zügen zu genießen. Mit seiner auf 1945 zurückreichenden Tradition erwies sich das geschätzt zur Hälfte mit weiblichen Musikern besetzte Stuttgarter Kammerorchester als Ensemble, das trotz seiner professionellen Routine einen hohen Grad an Lebendigkeit und Spielfreude bewahrt hat und sich eines schlanken, ausgewogenen Mozartklangs befleißigt.
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Die Dirigentenpersönlichkeit am Pult ist Mozartspezialist Thomas Zehetmair, seit drei Jahren dort in der Chefposition, der den Musikfreunden im Land durch Auftritte als hervorragender Geiger bei der frühen Schubertiade bestens bekannt ist.

Das Besondere in diesem Programm ist eine Gegenüberstellung der ersten mit der letzten Symphonie Mozarts, der Nr. 1 in Es-Dur des Achtjährigen mit der Nr. 41 in C-Dur, der berühmten „Jupiter“, als seinem viel bewunderten symphonischen Vermächtnis. Schriftsteller Robert Schneider wirft bei seiner Programmeinführung die Frage auf, ob ein Wunderkind wohl imstande sei, eine Symphonie wie Mozarts Erstling zu kreieren. Wie die Musikwissenschaft hegt auch er seine Zweifel daran, ob die kleinen Patschhändchen damals nicht weitere helfende Hände erfahrener Leute wie von Vater Leopold zur Seite hatten, damit ein Werk entstand, das zumindest in Ansätzen bereits nach Mozart klingt, dazu mit einem Schlusssatz so kurz, als ob Mozart die Luft ausgegangen sei.
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Das Rätsel darum muss freilich auch an diesem Abend ungelöst bleiben und scheint umso größer, wenn sich im direkten Vergleich die Meisterschaft der „Jupiter“ in packender Dynamik strahlend entfaltet, mit der berühmten sechsstimmigen Fuge im Finale, die in ihrer genialen Kontrapunktik posthum vermutlich sogar einen Johann Sebastian Bach hätte erblassen lassen.

Als gleichwertigen Höhepunkt daneben sollte man Mozarts letztes Klavierkonzert Nr. 27 in B-Dur einstufen. Der ebenfalls erstmals in diesem Rahmen gastierende namhafte französische Pianist Pierre-Laurent Aimard vermittelt dem Werk als Solist jene eigenartige Zwielichtigkeit aus Versonnenheit und Lebenslust, in der sich der Meister damals durch verschiedene Umstände befand. Es ist eine Interpretation ganz im Geiste Mozarts, die im engen Einvernehmen mit Dirigenten und Orchester vollkommen in sich ruht, auch bei virtuosen Passagen niemals aus dem Gleichgewicht gerät. Mit seiner Zugabe, einer stillen Hommage des ungarischen Zeitgenossen Giörgy Kurtág, verweist Aimard auf seine Stellung als Vorkämpfer für Neue Musik.
FRITZ JURMANN
Nächstes Konzert bei Dornbirn Klassik: 7. Mai, 19.30 Uhr, Kulturhaus
Orchestra della Svizzera Italiana, Dir. Markus Poschner, Solist Avi Avital, Mandoline
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