Die Zukunft des Tanzes beim Bregenzer Frühling

Richard Siegal und das Ballet of Difference zeigte die österreichische Erstaufführung „Xerrox Vol.2“ in Bregenz.
Bregenz Was ist Ballett? Oder was kann Ballett sein? Diese Frage wurde im Festspielhaus Bregenz von Richard Siegal und seinem Ballet of Difference nicht nur mehr als zufriedenstellend beantwortet, sondern geradezu zukunftsweisend präsentiert.

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Siegal, der seine Ausbildung unter anderem bei Doug Elkins (zweifacher Bessie Award Gewinner), bei William Forsythe (einer der renommiertesten Choreografen des 20. Jhs.) und dem Ballett Frankfurt erhielt, zählt als Choreograf zu den interessantesten und innovativsten seines Fachs und sein Ballet of Difference (2016 gegründet) avancierte in kürzester Zeit zu einem der führenden Tanzcompagnien Europas. Die Forsythe-Schmiede brachte auch so renommierte Choreografen wie Cristal Pite, Amanda Miller oder David Dawson hervor. Man könnte also durchaus von einer „Frankfurter Schule des Tanzes“ sprechen.

„Xerrox Vol. 2“, so nennt sich das neueste Stück von Richard Siegal und ist neben dem Hinterfragen, was Ballett alles sein kann, auch dem Komponisten Alva Noto (alias Carsten Nicolai) gewidmet. Noto gilt als Pionier der digital erzeugten, elektronischen Musik, u. a. hat er die Musik zu dem dreifach Oscar-prämierten Film „The Revenant“ (Der Rückkehrer) mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle beigesteuert und damit eine Golden-Globe-Nominierung eingeheimst. Carsten Nicolais Bruder, Olaf Nicolai, hat mit seinen Ausstellungen Bregenz schon zweimal beehrt (Magazin 4 und Kunsthaus) sowie die Bodengestaltung des Skateparks vor dem Festspielhaus übernommen. Soviel zu „Vorarlberg ist too small“. Aber zurück zum Stück.

Ein so atmosphärisches, dichtes, äußerst komplexes und audiovisuelles Gesamtkunstwerk zeichnet die Programmierung des Bregenzer Frühling aus, und damit auch die verantwortliche Intendantin Judith Reichart. Die Präzision in den Bewegungen und Positionen, die unglaubliche Körperbeherrschung der Tänzerinnen und Tänzer, die mit minimalsten Veränderungen ihren Ausdruck variieren, ist grandios.

Klassische Ballettpositionen wie Arabesque, Attitude, oder Croisé werden teilweise minutenlang in vollendeter Pose vorgeführt, gleichsam wie aus dem Lehrbuch, um dann wieder unvermittelt abzubrechen und um eine neue Position einzunehmen. Durchwirkt wird das Ganze immer wieder von einem Pas de deux (Highlights!), manchmal aber auch ein Pas de trois oder quatre, nicht in der klassischen Form, aber zumindest angedeutet. Der graue Seidenvorhang, der den Bühnenhintergrund halbkreisförmig abschließt, ist ein wesentliches Requisit. Manchmal bauscht sich der durchscheinende Stoff, aufgebläht durch Windmaschinen, zu einem Wulst auf; einer gewaltigen Walze gleich, scheint er die Tänzerinnen nahezu zu überrollen und zu verschlingen, unablässig bildet er eigene Konfigurationen und verändert so immer wieder den Raum. Gegen Ende des Stücks ist dessen Bewegung so heftig, dass man glaubt, ein Orkan zieht auf. Siegal schafft es eindrucksvoll 500 Jahre alte formalisierte Ballettposen spielerisch ins 21. Jahrhundert zu transferieren, ohne je aufgesetzt oder belehrend zu wirken – ästhetisch einmalig.

Ein kleiner Wermutstropfen am Rande: Man hätte so gerne noch etwas mehr Licht auf den wunderschönen und perfekt getanzten Pas de deux gesehen.
Thomas Schiretz
Nächste Vorstellung: Emanuel Gat Dance, Lovetrain2020 ÖEA, 15. April 2023, 20.00 Uhr, Festspielhaus Bregenz
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