„Die Jahreszeiten“ im Klimawandel

Markus Landerer eröffnete mit seiner Chorakademie aktuelle Sichtweisen auf das Werk.
FELDKIRCH Die Werkwahl zum 15-jährigen Jubiläum der Chorakademie Vorarlberg durch Chorleiter Markus Landerer mag Zufall gewesen sein – wenn, dann ein glücklicher. In Zeiten, in denen der Klimawandel und unser Umgang mit der Natur zum Dauerthema wurden, ein Oratorium wie Haydns „Die Jahreszeiten“ zur Diskussion zu stellen, war jedenfalls ein Glücksgriff. Denn wie in wenig anderen Werken steht hier Gottes Schöpfung im Mittelpunkt einer Betrachtungsweise von musikalischer Meisterschaft und Aussagekraft. Landerers Anliegen war es nun, dieses Werk im Vergleich mit der Heile-Welt-Idylle zur Entstehungszeit von über 200 Jahren in einer geschärften, mahnenden Fassung für die heutige Zeit zu präsentieren.
Sinfonietta Vorarlberg
Abgesehen von diesem neuen Denkansatz ist das als schlicht und beschaulich geltende Oratorium allein von seinem Umfang her in der rekordverdächtigen Länge von pausenlosen mehr als zwei Stunden ein schwer bezwingbarer Koloss. Genau so lang herrscht auch am Samstag in der Kapelle der Stella Privathochschule absolute Hochspannung und Konzentration bei dieser Ansammlung von Choristen und Musikern, die sich diesem Kraftakt als kompakte Einheit aussetzen. Es ist das Finale im Abenteuer „Jahreszeiten“, das für die Chorakademie ja schon vor Monaten mit intensiven Wochenendproben begonnen hat, unter einem Dirigenten, der sich zwar stets gut gelaunt gab, in der Sache selbst aber keinerlei Nachlässigkeiten duldete.
Deshalb kann Landerer dieses Werk in den inhaltlich sehr verschieden angelegten Chören und dem Doppelchor auch so ausgereift und anschaulich ausbreiten. Etwa im Frühlingschor „Komm, holder Lenz“, der auch in der Fülle von 90 Stimmen in großen Bögen atemberaubend eindeutig und klangschön aufleuchtet. Landerer legt auf dieser Basis aber auch mit schärferen Akzenten in Dynamik und Tempo den Finger in die Wunden, um aktuelle Bedrohungen unserer Zeit anzudeuten, wie den Pauken-Donner und die Flöten-Blitze im Ungewitter.
Die Sinfonietta Vorarlberg unter Führung von Bernd Konzett, seit Jahren mit von der Partie, überrascht heuer durch besondere Präsenz, Flexibilität und Kompaktheit im Klang, mit dem Einsatz brillanter Solisten wie der Oboistin in der Sopranarie im „Sommer“, der kräftig schmetternden Hörnergruppe im Chor der Jäger oder den vielen lautmalerischen Illustrationen. Sehr viele und differenzierte Aufgaben, vor allem im lyrisch erzählenden Bereich, sind den drei fein ausgewählten Vokalsolisten Hanne, Lukas und Simon anvertraut. Sie agieren scharf konturiert in ihren Rollen, vereinen sich im Terzett aber zu homogenem Dreiklang. Cornelia Horak begeistert mit der fein dosierten, kultivierten Natürlichkeit ihres Soprans, Daniel Johannsen verblüfft mit seinem unbezwingbar hellen, strahlenden Tenor. Der Muntlixer Martin Summer macht nach internationalen Opernengagements auch im Oratorien-Fach mit seinem klar geführten, gerundeten Bass mächtig Eindruck.
Standing Ovations
Der berühmte „Weinchor“ erklingt in einer Lautstärke, dass man sich denkt, die sind jetzt total ausgesungen, da ist die Luft raus. Zur Überraschung aller ist dann aber im „Amen“ der Schlussfuge, die der tief gläubige Haydn auch in diesem weltlichen Oratorium als Signum gesetzt hat, noch eine letzte Steigerung möglich. Nach einer Gedenkminute steht das Auditorium geschlossen auf zu Standing Ovations für diese unglaubliche Gemeinschaftsleistung und hellen Jubel speziell für jenen Mann, der das alles so toll auf Schiene gebracht hat – Markus Landerer, der uns mit seiner Sichtweise auch viel zum Nachdenken mit auf den Heimweg gibt. JU
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