Und manchmal staunt man …

Kultur / 24.05.2023 • 18:04 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Die Ausstellungen von Marbod Fritsch können in der Galerie Arthouse und im Bildraum Bodensee, beide in Bregenz, besichtigt werden. THOMAS SCHIRETZ
Die Ausstellungen von Marbod Fritsch können in der Galerie Arthouse und im Bildraum Bodensee, beide in Bregenz, besichtigt werden. THOMAS SCHIRETZ

Marbod Fritsch stellt in der Galerie Arthouse und im Bildraum Bodensee aus.

BREGENZ Giorgio Vasari (1511-1574), Architekt und Hofmaler der Medici, der breiten Öffentlichkeit vor allem bekannt als Biograf italienischer Künstlerpersönlichkeiten, sagte einmal, dass die Malerei und die Bildhauerei in Wahrheit Schwestern seien und von einem gemeinsamen Vater abstammen: il disegno – der Zeichnung. Marbod Fritsch, der heuer seinen 60er feiert, präsentiert in der Galerie Arthouse vornehmlich ein grafisches, zeichnerisches Œuvre, Zeichnungen auf Holz. Kugelschreiber, Lineal, ein Tuch und etwas Alkohol sind die Ingredienzen seines künstlerischen Tuns.

Welt der Zwischenräume

Die Größenformate seiner Arbeiten variieren von 200 x 100 cm bis hin zu 50 x 40 cm. Auf den ersten Blick und auf Distanz glaubt man, eine Acryl- bzw. eine lasierte Ölmalerei vor sich zu sehen, doch bei näherer Betrachtung sieht man die in präzisester Millimeterarbeit ausgeführten Linien auf den grundierten Holzträgern, manchmal ist man versucht, Figuratives daraus abzulesen, scheinbare Raumkonzepte, Tiefe, Echokammern.

Manche seiner Arbeiten erinnern an die großartigen „Kerker der Fantasie“ des unvergleichlichen Giovanni Battista Piranesi (1720-78). Die Doppeldeutigkeit dieses Titels – man kann ihn als Gefangennahme der Imagination auffassen, aber auch als das Ausdenken von Gefängnissen – gibt Anlass zu allerhand Auslegungen.

In Marbod Fritschs zeichnerischen Arbeiten findet sich kein einziger abgeschlossener Raum, stattdessen liefern sie den Betrachter einer Welt der Zwischenräume aus. Die Linien in ihrer Dichte kreuz und quer, tausendfach, führen in die Irre; wechselnde Perspektiven und Größenverhältnisse sorgen für fortwährende Irritationen; Innen- und Außenräume sind nicht voneinander zu unterscheiden. Schliere, die durch die Verschiebungen des Lineals, sowie Aufhellungen, die durch eine Art Frottage entstehen, sind allesamt Chiffren für Geschautes, Gedachtes, Erinnertes. Es geht darum, eine Idee freizusetzen, einen Ausdruck dafür zu finden, dem Sichtbarmachen des Unsichtbaren das Unsagbare zu zeigen, Bildfindungen zu erproben und künstlerische Ideen in experimentellen Zugängen umzusetzen, und letztendlich um Unmittelbarkeit und Spontaneität, Gepräge der Faszination der Zeichnung.

Fritschs faszinierende, raumgreifende Installation im Bildraum Bodensee, ein bedruckter Kettenvorhang, der einer Wasserkaskade gleich den Hauptraum in der Mitte teilt, beschäftigt sich auf poetische Art und Weise mit unserem Leben: „Und manchmal staune ich, dass ich tatsächlich lebe“, ein Zitat aus dem Film „Rivers and Tides“ von Thomas Riedelsheimer, einer Dokumentation über den britischen Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy. Dieser Film begleitet Marbod Fritsch bereits seit über 20 Jahren – er erdet und beflügelt ihn zugleich. Fein empfunden ist seine Arbeit „ICHICHICH“, einem Paravent gleich, die drei Buchstaben des ICH so aneinandergekettet, dass neue Wörter wie CHICH oder auch CHI (22. Buchstabe des griechischen Alphabets, Symbol für Jesus Christus) entstehen.

Vergoldeter Ring

Das Verbindungselement der beiden Ausstellungsräume stellt ein unscheinbarer und kaum wahrnehmbarer vergoldeter Ring aus Aluminium dar, der im Geäst in einem der Bäume am Kornmarktplatz befestigt ist. Und manchmal staune ich, dass ich immer noch überrascht werden kann, die Arbeiten Marbod Fritschs tun dies in einer nahezu schwerelosen, unprätentiösen, exquisiten und stillen Art. In der Höhle begann das Zeichnen dereinst als visuelle Beschwörung und manchmal kehrt es dorthin zurück. Gefangen von Fritschs Imagination. THS

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