Das Auge lässt sich täuschen, das Ohr nicht

Frühe Pflanzung
Anna Ospelt, Limmat Verlag, 96 Seiten, 12 Abbildungen
Frühe Pflanzung – Mutterschaft und Natur miteinander verwoben.
Lyrik-Essay „Frühe Pflanzung“ heißt das neue Buch der Schriftstellerin Anna Ospelt, das – gerade erst veröffentlicht – sogleich für den Literaturpreis der Europäischen Union nominiert wurde. Zwei Themen verwebt die 36-jährige Liechtensteinerin im Genre des Nature-Writing miteinander: Mutterschaft und Natur. „Ich mache das Wochenbett schreibend und lesend bewohnbar“, so die Autorin bei ihrer Lesung im Literaturhaus Liechtenstein. Und verrät: „Eigentlich wollte ich gar kein Buch machen.“ Das Schreiben sei vielmehr ein Anker gewesen, um in der Zeit der Veränderung bei sich selbst zu bleiben.
Sätze-Girlanden
„Ich schreibe links oder rechts je nach Stillposition“ geht es im Text weiter. Es seien die Worte still und stillen, die in Ospelt – wie sie sagt: „viel aufgemacht haben“. Gedachtes und Gesehenes im Wechsel zwischen Ich-Auflösung und Ich-Rückkehr wird notiert und gelassen. Bis sie zu einem fließenden Text werden, vergeht Zeit. Erst als E. – wie sie ihre Tochter im Buch nennt – ein Jahr alt war, ging die Autorin ihre Notizbücher durch und fand, dass spannende Elemente enthalten sind. Das sei dann nochmal eine ganz neue Textarbeit für sie gewesen, diesen Buchtext zu machen. Girlanden, hingen in der Wohnung, Sätze befestigt wie frisch gewaschene Wäsche, geschoben, immer wieder geschoben, bis es stimmig war. Es habe aber auch Abwägung gebraucht, aus diesem entstandenen Text ein Buch zu machen. „Ich habe mich dafür entschieden, die Sprache entscheiden zu lassen“, sagt die Vaduzerin, „einiges habe ich für mich behalten, anderes wiederum zu einem kunstvollen Text geformt, der dann eine Schutzhülle um dieses Persönliche herum bildet.“
Pausen fordern
Ospelt spielt auch im Buch mit den Sätzen und Absätzen, zieht auseinander, legt Gedankenstriche dazwischen und fordert Pausen ein. Zeit das Gelesene wirken zu lassen, es in seiner lyrisch-emotionalen Dichte und Tiefgang zu fühlen. Empathisches Luftschnappen geformt in Sätze – Stille – Sätze – Stille. Rhythmisch und wohlklingend. Dazwischen Bilder, die Eicheln als Erzählkapseln abbilden, Äpfel, die zu Kompott verarbeitet werden oder Kreuz-Stickereien auf Omas Leinentischdecke. Das ganze Buch ist durchwirkt von Bildern und Sprachbildern. Manche sind im Prozess entstanden, ein paar hat Ospelt hineingeholt. Die Form: ein Lyrik-Essay, das Versuchsartiges in sich trägt. Ein gelungener Versuch, der berührende Wortwelten öffnet und wie Blumenzwiebeln ihre Blütenblätter. Es liegt was in der Luft – etwas unverwechselbar Großartiges. CRO
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