Walter Fink

Kommentar

Walter Fink

Gedächtnis einer Region

Kultur / 02.06.2023 • 18:28 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Es war einerseits ein glücklicher Zufall, es war andererseits der Sorgfaltspflicht der handelnden Personen geschuldet, dass einer der wichtigsten Fotobestände des Landes, jener des „Fotostudios Hiller“ in Bezau, erhalten blieb und in öffentlichen Besitz gelangte. Vor gut hundert Jahren gegründet sammelten sich hier etwa 100.000 Fotos, die von den Nachkommen der Familie Hiller im Laufe der Zeit an das Bregenzerwald Archiv übergeben wurden. Ein erheblicher Teil ist inzwischen auf dem Fotoportal „volare“ der Landesbibliothek abrufbar, darf auch frei verwendet werden. Rund 5000 Fotos sind derzeit in der Ausstellung „Hiller“ des Vorarlberg Museums in Bregenz zu sehen, ein Einblick in das „Gedächtnis einer Region“.

Will man den Versuch unternehmen, diese Ausstellung zu bewerten, so muss man wohl unterscheiden. Das eine ist der Eindruck, der entsteht, wen man die Räume im vierten Stock des Museums betritt, die Fülle an Fotografien, die die Wände zu Tapeten machen und über einen geradezu hereinstürzen. Die Wände sind vom Boden bis zur Decke voll mit Bildern, kleinen Bildern, die ergänzt werden durch große Aufnahmen, auch solche, die ständig wechseln. Wenn man die Räume betritt, dann ist man beeindruckt vom grafischen Konzept von Roland Stecher, das den Betrachter mitten hineinstellt und ihm keinen Blick auf anderes als die Fotos ermöglicht. Vom Eingang bis zum Ausgang gibt es sozusagen keine Erholung, man blickt Erstkommunikanten, Porträts, Familienbildern und Menschen auf dem Totenbett ins Gesicht. Dazu dann noch einige Landschaftsaufnahmen (Foto Hiller war bekannt für seine Postkarten aus dem Bregenzerwald). Die Fülle ist, wie gesagt, beeindruckend, aber sie erschlägt einen auch.

Womit wir beim Problem dieser Ausstellung sind. Es gibt zwar einige Texthinweise zu den einzelnen Bereichen, manche Erklärungen zur technischen Seite, aber prinzipiell wird der Besucher allein gelassen mit Tausenden von Fotografien. Es gibt keine Beschriftungen, es gibt vor allem keinen Katalog. Und das muss man dem Kurator der Ausstellung, dem bekannten Fotokünstler Arno Gisinger, einem in Paris arbeitenden Vorarlberger, ebenso anlasten wie dem Museum. Man kann die Menschen mit so einem ungeheuren Konvolut nicht mehr oder weniger sich selbst überlassen, der Betrachter braucht Hilfestellungen, Hinweise auch auf Personen, die erst eine Identifikation bringen können. Und wenn die Ausstellung vor einer Woche eröffnet wurde, auf mindestens zwei Jahre angelegt ist, der Katalog aber erst in einem Jahr erscheinen soll, dann ist das grober Unfug. Ein wirtschaftliches Unding sowieso, weil man bekanntlich am meisten Kataloge bei der Eröffnung und am Anfang der Ausstellung verkauft. Ein noch schlimmeres, weil inhaltliches Unding, weil die Besucher den Zugang zu dieser Ausstellung ohne Hinführung nicht finden werden.

„Die Fülle ist, wie gesagt, beeindruckend, aber sie erschlägt einen auch.“

Walter Fink

walter.fink@vn.at

Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.