Eine Hommage an eine unterschätzte Autorin

Stimmungsvolle Eröffnung des diesjährigen Literaricum Lech mit einer Festrede von Denis Scheck.
LECH „Es ist mir ein Anliegen, mit dem diesjährigen Festivalklassiker ‚Stolz und Vorurteil‘ von Jane Austen eine Autorin ins Rampenlicht zu rücken, der leider viel zu oft Unrecht getan wurde“, betonte Nicola Steiner, Kuratorin des Literaricum Lech, am vergangenen Donnerstag bei ihrer Begrüßung.

In die Bücher Austens tauche man ein, als ob man ein Teil davon wäre. Außerdem verwies die renommierte Schweizer Kulturjournalistin auf zwei weitere Veranstaltungen, die heute stattfinden werden, und in denen legendäre Frauenfiguren ebenfalls eine große Rolle spielen, nämlich auf „Mon Chérie und unsere demolierten Seelen“ mit der in Vorarlberg geborenen Schriftstellerin Verena Rossbacher sowie auf „Bilanz eines aufregenden Lebens“ mit Alice Schwarzer.

Michael Köhlmeier, der gemeinsam mit dem Autor Raoul Schrott die Formatreihe Literaricum Lech konzipierte, erwähnte bei seiner Rede, er erzähle immer aus der Sicht eines Schriftstellers, dies sei ihm einmal mehr bewusst geworden: „Was ist das Kriterium für ein gutes Buch?“ Dieses Kriterium bestehe darin, dass der Autor so manches Mal dem Leser so richtig auf die Nerven gehen muss: „Das zeigt, dass der Autor seiner Figur treu geblieben ist, nicht nur den Erwartungen seiner Leser entspricht.“ Als prägnante Beispiele führte er Werke der Schriftsteller Fjodor Dostojewski, Philip Roth und Herman Melville an: „Moby Dick ist über Strecken hinweg unfassbar langweilig. Ich bitte jedoch die Leser um Nachsicht bei solchen Büchern, wenn sie manche Stellen langatmig finden, denn im besten Fall hat sich der Autor eben für seine Figur entschieden.“

In der sehr unterhaltsamen Eröffnungsrede des Literaturkritikers Denis Scheck spiegelten sich so einige der Vorbehalte anderer Schriftsteller gegenüber Jane Austen: „Es gibt auch Menschen, die die Romane Jane Austens nicht mögen, ja sogar hassen.“ Dazu erwähnte er den Autor Mark Twain, der meinte, eine Bibliothek sei nur dann gut, wenn sie keine Bücher von Austen enthalte. Während sich Kritiker des letzten Jahrhunderts in Austens Werken auf die Themen Liebe und Tod beschränkten, griff dies viel zu kurz: „Bei Jane Austen geht es immer um Liebe, Tod und Geld. Die Anfänge ihrer Romane lesen sich wie Immobilien-Pornos.“
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Für Denis Scheck bestehen die Werke Austens aus wortwitzigen, brillanten Dialogen, die Übersetzung durch Andrea Ott, die ebenfalls bei der Veranstaltung war, sei schlichtweg grandios. Er erwähnte außerdem einen Aspekt, der bislang noch nie richtig beachtet wurde: „In ihren Romanen bildet die Religion eine Leerstelle, obwohl sie die Tochter eines Pfarrers war. Es findet somit eine Denunziation der Geistlichkeit statt.“ Er teile mit Jane Austen die Ansicht, lesen mache Freude: „Doch macht lesen uns zu besseren Menschen? Gaddafi und Hitler haben auch Bücher und Gedichte geschrieben.“ Eine wichtige Funktion der Literatur sei es jedoch, Trost zu spenden. Jane Austens Stärke sind Beziehungsanalysen: „Wer mit wem? Und: Wie lange?“ In der zeitgenössischen Kontextualisierung finden sich bewegende Ereignisse wie etwa die Französische Revolution, der Aufstieg Napoleons, die Säkularisation in Europa oder auch die Erschütterung des British Empires, nichts davon spiegle sich in Austens Werken: „Ich stelle mir da die Frage, wie kann man nur so abgewandt von diesen Ereignissen leben? Doch Jane Austen ist ihre eigene Zeit, sie ist die Zeitgenossin von niemandem. Sie verändert den Kompass ihrer Leser komplett – nichts ist mehr so wie vor dem Lesen eines ihrer Bücher.“ BI
