Zeitzeugnis der Kriegs- und Nachkriegszeit

Gitti
Erika Pluhar, Residenz Verlag, 224 Seiten
Erika Pluhar erinnert an die Kindheit und Jugend ihrer Schwester.
Roman Das Foto zeigt Brigitte King, geborene Pluhar, eine geheimnisvolle Frau, aufgenommen in „New York, etwa 1958“. Es ist die ältere Schwester von Autorin Erika Pluhar, einige Jahre nach der Auswanderung mit ihrem Mann, dem Fotografen Roland Pleterski. Mit dem Roman „Gitti“, der sich auf die „bei aller Fiktion wahrhafte Nacherzählung“ des gemeinsam Erlebten beruft, will Erika Pluhar „die uns verbindende Vergangenheit rückblickend aufspüren, bewahren und das gemäß ihren Erinnerungen“, schreibt sie in einer Vorbemerkung. Denn als kleine Erika, die Mittlere eines „Dreimäderlhauses“, ist die Autorin selbst in der Handlung immer wieder präsent.
Pflichtbewusst und still
Brigitte, das zurückhaltende, pflichtbewusste, stille Kind, kommt dem Lesenden nahe. Die Älteste der drei Geschwister wird 1933 in Rio de Janeiro geboren, wo der Vater bei einer Ölfirma arbeitet, übersiedelt mit den Eltern als Dreijährige nach München, „heim ins Reich“. Josef Pluhar ist überzeugter Nationalsozialist, arbeitet tatkräftig am Aufbau des NS-Staates mit, übersiedelt mit der Familie später nach Wien, dann ins besetzte Polen, wo er in Lemberg Adjutant des Gouverneurs ist, und bietet seiner Frau Anna und seinen bald drei Töchtern (nach Brigitte und Erika kommt Ingeborg zur Welt) als Teil der Funktionärselite ein Leben in Wohlstand. Das Blatt wendet sich. NS-Deutschland gerät in die Defensive, und die Verbrechen der Nationalsozialisten lassen sich auch zunehmend für die Kinder erahnen. Der Vater meldet sich freiwillig als einfacher Soldat an die Front, die Familie wird zurück ins von Bombenangriffen schwer getroffene Wien und später weiter nach Oberösterreich geschickt, wo die Mutter mit ihren drei Töchtern am Land einquartiert wird.
Familienschicksal
„Gitti“ erzählt ein archetypisches österreichisches Familienschicksal der 1930er- und 40er-Jahre, und es erzählt natürlich auch von den ersten Lebensjahren der Erika Pluhar selbst. Was ihre bei der Oma untergebrachte Schwester dazu bringt, als 16-jährige Schülerin der Modeschule Michelbeuern eine Beziehung zu einem Lehrer einzugehen, ihn zu heiraten und mit allen bürgerlichen Konventionen zu brechen, das macht Pluhar nur erahnbar – und schöpft dabei wohl nicht zuletzt auch aus ihrem eigenen Leben. Zu den Fotos, die bei Ausstellungen ihres Schwagers Roland Pleterski (1920-2000) zu sehen waren, zählen nicht zuletzt Porträts der jungen Erika Pluhar. CRO