„Bin ein gelernter Gegner von Wettbewerben“

Bregenz 73 Musikerinnen und Musiker der Quarta 4 Länder Jugendphilharmonie versammeln sich in diesen Tagen wieder in der Landwirtschaftsschule in Hohenems, um sich auf die nächste Konzertreihe vorzubereiten. Unter der Leitung von Christoph Eberle (64) präsentiert das Orchester Werke von Jean Sibelius und Antonin Dvorak. Im Interview spricht Eberle über die Erfolgsgeschichte des Orchesters, das diesjährige Programm und die Herausforderungen während der Coronapandemie.

2016 fand die erste Konzertserie der Quarta 4 Länder Jugendphilharmonie statt. Was war der Hintergedanke des Projekts?

Dadurch, dass es in unserer Familie vier musizierende Kinder gibt, habe ich die musikalische Landschaft im Land wieder verstärkt beobachtet. Ich habe gesehen, dass es eigentlich keine Plattform gibt, wo man den jungen Musikerinnen und Musikern das Musizieren in der romantisch-klassischen Literatur auf hohem Niveau anbietet. Ich wollte nicht, dass es nur ein Vorarlberg-bezogenes Projekt wird. Da wir im Vierländereck leben, wollte ich den jungen Musikern aus Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein und Österreich eine Plattform bieten, große Orchesterliteratur zu spielen.

Wie hat sich das Projekt in den vergangenen Jahren entwickelt?

Der Start ist uns sehr gut gelungen, von Jahr zu Jahr kamen mehr Besucher. Der Coronaeinbruch war dann natürlich schlimm. Wir haben aber trotzdem versucht, mit kleineren Projekten weiterzumachen, aber das war ein schwieriger Einschnitt. Man hat das Gefühl, man muss jetzt wieder von vorne beginnen, weil viele bequem geworden sind. Es hat eine Wirkung hinterlassen. Es ist leider schwieriger geworden, die Leute wieder für Konzerte zu mobilisieren.

Wie groß ist die Nachfrage bei den jungen Musikerinnen und Musikern, beim Projekt mitzuwirken, und nach welchen Kriterien wählen Sie diese aus?

Das Interesse ist bis heute sehr groß. Heuer wirken rund 70 junge Musikerinnen und Musiker zwischen 15 und 24 Jahren mit. Ich bin prinzipiell ein gelernter Gegner von Wettbewerben, ich finde, diese sollten in der Musik keinen Platz haben. Im Sport ist das etwas anderes, da finde ich das okay. Deshalb haben wir bewusst keine Probespiele eingeführt. Ich bitte meistens um ein Video oder ein Tonband, um mir ein Bild machen zu können. Es sind alle herzlich eingeladen, die Interesse haben.

Sehen Sie bei bestimmten Musikinstrumenten Nachholbedarf?

Das ist überraschenderweise ganz unterschiedlich. Heuer haben wir etwas weniger Kontrabassisten, dafür haben wir zehn Celli. Man kann es nicht vorhersagen, wie das Orchester am Ende zusammenstellt ist. Das macht aber auch den Reiz aus. Ich finde, dass wir heuer eine schöne Besetzung haben. Am Ende hat es immer noch wunderbar funktioniert.

Gibt es Musiker, die schon länger beim Orchester mitwirken?

Ja, das beste Beispiel ist Oskar Kaiser, der als heuer als Solist auftritt. Er hat schon zwei Mal als erster Geiger und zwei Mal als Konzertmeister mitgewirkt. Er wurde gerade in der Akademie der Deutschen Oper Berlin aufgenommen und ist quasi ein Urgestein der Quarta, deshalb habe ich ihm gerne den Solopart beim Violinkonzert von Jean Sibelius angeboten.

Neben dem Violinkonzert von Jean Sibelius steht im zweiten Teil des Konzerts Antonin Dvoraks 9. Sinfonie “Aus der Neuen Welt” auf dem Programm. Wie ist das Programm zustandegekommen?

Letztes Jahr standen Mahlers Vierte und Werke von Schubert auf dem Programm. Immer wieder kam der Wunsch aus dem Orchester, einmal die Neunte Dvoraks zu spielen. In diesem Jahr passte das gut. Es ist ein wahnsinnig bekanntes und berühmtes Stück. Das Violinkonzert von Sibelius stellt quasi einen Gegensatz zum zweiten Teil dar. Für mich ist es eine reizvolle Paarung der beiden Werke, die in der Klangsprache ganz anders sind.

Welcher pädagogische Hintergedanke steckt hinter dem Projekt?

Die Erfahrungswerte für jene, die später Profis werden wollen, sind sehr wertvoll. Alle jene, die diesen Weg nicht einschlagen wollen, freuen sich, ein tolles Konzerterlebnis zu haben. Ich bin überhaupt nicht darauf aus, immer die gleiche Besetzung zu haben. Mir ist es ein Anliegen, dass möglichst viele Musiker aus den vier Ländern die Möglichkeit bekommen, auf dem hohen Niveau sinfonische Musik machen zu können.

Was sind die größten Herausforderungen für Sie als Leiter des Orchesters?

Die größte Herausforderung liegt darin, die Musiker, die sich zuvor noch nicht gesehen haben, innerhalb von fünf Tagen zu einer Einheit zu formen. Ich profitiere dabei unter anderem von meinen Erfahrungen beim SOV und anderen Orchestern, bekomme aber auch Unterstützung von verschiedenen Coaches, die während der Probenzeit mit den einzelnen Gruppen arbeiten. Glücklicherweise ist es uns immer wieder gelungen, auch in der kurzen Zeit das Orchester auf ein erstaunliches Niveau zu bringen. Das liegt aber auch an der Bereitschaft und der Motivation der jungen Musiker.