„Ich will dreckige Hände“

VN-Interview mit Amrei Wittwer (43), Apothekerin, Schriftstellerin und Künstlerin.
feldkirch Amrei Wittwer ist in der Vorarlberger Kunstszene und im benachbarten Ausland mittlerweile fest verankert. Ab dem kommenden Donnerstag zeigt sie in der Kunstbox am Jahnplatz in Feldkirch unter dem Titel „Narbe und Nachtfalter“ neue Exponate. Die Vernissage um 19 Uhr geht direkt in eine Party in der Jahnhalle über.
Sie haben mit der Fliesenmanufaktur Karak Tiles zusammengearbeitet. Kunst und Handwerk, ist das kein Widerspruch?
WITTWER Karak Tiles presst Fliesen aus sandigem Ton – die wunderbare Qualität ihrer Fliesenrohlinge kann ich in meiner Werkstatt ohne Presse nicht erreichen. Künstler lassen ihre Ideen oft von Handwerkern umsetzen, damit sie sich nicht die Hände schmutzig machen. Das interessiert mich nicht, ich will dreckige Hände. Meine Arbeiten entstehen im Prozess, ich will Entscheidungen treffen, ich bin Maler und Keramiker.

Worum geht es in der Ausstellung?
WITTWER In Vorarlberg gefährdete Falter werden in ungewöhnlicher Anzahl und Größe am Jahnplatz präsentiert. Der Falter ist – obwohl das griechische Wort „Psyche” ihn als Schmetterling bezeichnet – kein Herrschaftstier, sondern ein Mangelwesen. Mit dem Insektensterben gehen die Bestände je nach europäischem Land um 60 bis 80 Prozent pro Jahrzehnt zurück. Faktoren wie Klimaerwärmung, Pestizide, Biotopverlust, Düngung und Lichtverschmutzung tragen ihren Teil dazu bei. Ich frage mich: Wer ist verantwortlich? Wer bewirkt Veränderungen?
Was kann verändert werden?
WITTWER Täglich passieren 10.000 Passanten die Kunstbox. Das Mantra der Ausstellung soll zum Wohle der fühlenden Wesen wirken, ihr Leid beseitigen und ihnen Glück bringen. Mit jeder einzelnen Kachel, mit jedem Bild soll der Schmetterling – als nichtmenschliches Wesen – angerufen werden, bis verbindliche, fein regulierte Gesetze ihn und seine Nachkommen vor dem Aussterben schützen.

Warum haben Sie sich für das Großformat entschieden?
WITTWER Falter, die uns nicht schön erscheinen, deren Verschwinden wir übersehen, bekommen im Großformat eine neue Bedeutung. In menschlicher Größe erscheint das Recht auf Artenschutz, die Leidensfähigkeit, die Unterstellung von Intelligenz nicht mehr so weit hergeholt: Das Bestäuben von Pflanzen als echte Arbeit, das Mud Puddling – das Trinken von Blut, Schweiß und Tränen – wirkt unheimlicher.
Sie zeigen Gebrauchsgegenstände im Kunstkontext. Darf Kunst nützlich sein?
WITTWER Auch Gebrauchsgegenstände sind Artefakte. Eine Kachel kann funktional als Wandverkleidung dienen und dennoch ein Objekt des Übergangs sein. Sie kann symbolisch aufgeladen werden und Wirkung entfalten. Der deutsche Philosoph Bjung Chul Han schreibt, dass das Leben mit dem Ornamentalen, das sich von jedem Zweck und Nutzen emanzipiert, darauf beharrt, dass es mehr ist als Überleben. In Zusammenarbeit mit der Zimmerei Holz3 sind zwei ornamentale Tische entstanden, die nur am Abend der Vernissage zu sehen sind – ein Grund mehr, zur Party zu kommen.

Ab 20 Uhr legt DJ Nasty Nessa auf. Darf man in Zeiten wie diesen feiern?
WITTWER In „Vita Contemplativa“ schreibt Han, dass Handeln keine kulturbildende Kraft sei. „Nicht der Krieg, sondern das Fest, nicht die Waffe, sondern der Schmuck ist der Ursprung der Kultur.“ Über die Qualität der Kunst bei einer Vernissage lässt sich streiten, wichtig ist die Begegnung, der Austausch, ein wenig festlicher Glanz.
Welche Botschaften wollen Sie mit Ihren Werken vermitteln?
WITTWER Wissenschaft und Kunst sind die Herausforderer des scheinbar Endgültigen. Sie bestehen darauf, Fragen zu stellen und Überzeugungen zu hinterfragen. Mich interessiert im Sinne von Claes Oldenburg „Kunst, die politisch-erotisch-mystisch ist, die etwas anderes macht, als auf ihrem Arsch im Museum zu sitzen.“ BI
“Narbe und Nachtfalter”, Kunstbox am Jahnplatz, Feldkirch
Vernissage am 14. September, 19 Uhr
15. September bis 3. Dezember 2023