Sein oder Nichtsein

Kultur / 17.09.2023 • 19:23 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
In der gesamten Theatergeschichte gibt es kaum eine vielschichtigere Figur als Hamlet. Ilja Mess
In der gesamten Theatergeschichte gibt es kaum eine vielschichtigere Figur als Hamlet. Ilja Mess

Das TAK Liechtenstein zeigt zum Auftakt der neuen Saison Shakespeares Hamlet.

Schaan Es ist ein mutiges Unterfangen – das muss man Thomas Spieckermann, Intendant des Theater am Kirchplatz in Schaan zugestehen – gleich zu Beginn der Saison 2023/24 William Shakespeares Hamlet als Uraufführung in der Neuübersetzung von Helmut Krausser auf die Bühne zu bringen. Es gibt in der gesamten Theatergeschichte kaum eine vielschichtigere Figur als die des Hamlet, Faust könnte da noch mithalten. Weder Macbeth noch Richard III. oder Mutter Courage können es an Vielschichtigkeit, Persönlichkeitsstörungen, Rätselhaftigkeit und Undurchschaubarkeit mit Hamlet aufnehmen, der auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“ die größten Spuren und Orientierungspunkte hinterlassen hat.

Zuletzt hat der in Bregenz geborene Philipp Preuss seinen Hamlet beim Theatertreffen in Dessau noch einmal gezeigt. Sein Hamlet wurde von der Zeitschrift Theater heute in den Kategorien „Inszenierung des Jahres“ und „Bühnenbild des Jahres“ zu den Highlights der Spielzeit 2021/22 gewählt.

Reduktion auf das Wesentliche?

Man hat das Gefühl, dass sich Regisseur Oliver Vorwerk auch ein wenig an Brooks Fernsehinszenierung von 2001 gehalten hat: Reduktion auf das Wesentliche, keine extravaganten Regieeinfälle, kein unnötiger Pomp, kaum Requisiten, kein aufwendiges Bühnenbild. Zwei große Cortenstahltore im Bühnenhintergrund öffnen und schließen sich, geben den Blick frei auf einen weiß gekachelten Raum, der an eine überdimensionale Dusche erinnert. Allerdings kollidiert die Inszenierung hin und wieder mit den Kostümen der Schauspieler(innen). Hamlet zu Beginn im dezenten grauen Anzug, dann im schwarzen Rock, Rüschenhemd und silbernen Stiefeletten, schließlich im weißen Kapuzenpullover mit dem Logo einer Königskrone, umgeben von einem Saturnring, darunter Helsingør, der Name der dänischen Stadt, in der das Stück spielt. Das Outfit eines Angus Young (Leadgitarrist von AC/DC), eines Penners und eines Börsenmaklers könnte Pate gestanden haben. König Claudius trägt einen weinroten Anzug, dessen Jacke auf dem Rücken ebenfalls das Logo mit der Krone trägt. Rosenkrantz und Güldenstern, die beiden vermeintlichen Freunde Hamlets, stecken in Röckchen, Shorts, bunten Plüschpullovern und Stiefeletten. Willkommen in den 1980er-Jahren. Polonius mit fingerlosen schwarzen Autohandschuhen und einem Anzug, dessen Ärmel abgerissen sind, flügellahm sozusagen. Gertruds Kleider changieren zwischen Abendrobe, Cocktail- und Trauerkleid.

Knarrende Stühle

Die Ensembleleistung ist durchwachsen. Während man Hamlets (Dan Glatzer) leisen Monologen nur bedingt folgen kann (das ist aber vor allem der knarrenden Stühle im Zuschauerraum geschuldet; das ist nervtötend, bitte dringendst beheben!), so sind die Stimmen von Claudius (Oliver Reinhard) und Laertes (Thomas Beck) nahezu überpräsent. Es ist manchmal ein Zuviel an Geschrei und schrillem Gekreische.

Es stellt sich die Frage, warum die Totengräber beim Aushub für Ophelias Grab die leichten Theaterbodenbretter so laut aufeinanderschlagen müssen? Gediegen die Darstellung von Gertrud (Nicole Spiekermann, die ein wenig an den großen Flickenschild erinnert), Horatio/Rosenkrantz (Julian Härtner) und Polonius (Stefan Gebelhoff). Ophelia (Sylvana Schneider) könnte mehr aus ihrer Rolle machen, zu unbedarft ist sie gezeichnet. Dan Glatzer gibt den Hamlet teilweise zu blass und ratlos. Wo ist der Hamlet, dem es nur um Rache geht? Wunderbar die Videosequenz mit Ophelia und Hamlet und dem Welt­hit „I’d do anything for Love“ von Meat Loaf, auch die Schlussszene an Ophelias Grab, Hamlet mit dem Totenschädel des Hofnarren Yorick in Händen.

Begnadeter Literat

Helmut Kraussers Text ist dem Heute angepasst, jedoch die Schlegel-Tieck-Übersetzung nie ganz aus den Augen verlierend. Hamlets berühmtes „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“ mutierte bei ihm zu „Zu leben oder nicht zu leben, bleibt die Frage“. Krausser ist ein begnadeter Literat, sein Stück „Lederfresse“ wurde in den 1990er-Jahren weltweit gespielt und seine Romane und Novellen sind von beeindruckender Tiefe und Vielschichtigkeit (siehe „Schmerznovelle“ oder sein neuester Roman „Wann das mit Jeanne begann“).

Ein Theaterabend, der vom Publikum goutiert worden ist. THS

Hamlet von William Shakespeare: Weitere Aufführungen siehe unter www.tak.li