Ein Meisterwerk voller Emotionen

Kultur / 23.10.2023 • 15:15 Uhr / 8 Minuten Lesezeit
"Lili Elbe", uraufgeführt im renovierten Paillard-Bau des Theaters St. Gallen, ist ein Meisterwerk auf allen Ebenen.   <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
"Lili Elbe", uraufgeführt im renovierten Paillard-Bau des Theaters St. Gallen, ist ein Meisterwerk auf allen Ebenen. Dufaj Edyta

Umjubelte Uraufführung von Tobias Pickers Oper «Lili Elbe» in St. Gallen.

Darum geht’s:

  • Die Uraufführung von “Lili Elbe” am Theater St. Gallen ist ein wahres Meisterwerk.
  • Die Oper basiert auf der wahren Geschichte der transsexuellen dänischen Malerin Lili Elbe.
  • Die Inszenierung berührt mit ihrer Darstellung von Identität, Transition und der Suche nach der persönlichen Wahrheit.

St. Gallen Mit der Uraufführung von „Lili Elbe“, komponiert von Tobias Picker nach dem Libretto von Aryeh Lev Stollman, konnte Jan Henric Bogen, Direktor des Theaters St. Gallen, dem Publikum zur Eröffnung des renovierten Theaterbaus ein wahres Meisterwerk präsentieren, das – nicht nur – in die Schweizer Operngeschichte eingehen wird.

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.

Das Stück, das auf der wahren Geschichte der dänischen Malerin Lili Elbe basiert, berührt mit seiner Schilderung von Identität, Transition und der unaufhaltsamen Suche nach der persönlichen Wahrheit. Der mutige Akt der Selbstfindung und Selbstakzeptanz, der sich in Lilis Transition offenbart, wirft eine ergreifende Diskussion über die menschliche Identität und die Fähigkeit zur Veränderung auf. Einem breiteren Publikum wurde die Geschichte durch den Roman «The Danish Girl» und dessen Verfilmung mit Eddie Redmayne in der Hauptrolle (2015) bekannt.

Lili Elbe basiert auf der wahren Geschichte der dänischen Malerin Lili Elbe.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Lili Elbe basiert auf der wahren Geschichte der dänischen Malerin Lili Elbe. Dufaj Edyta

Als die Schauspielerin Anna Larsen an der letzten Porträtsitzung für ihr Gemälde nicht teilnehmen kann, macht sie einen ungewöhnlichen Vorschlag: Gerda Wegeners Ehemann, der Künstler Einar Wegener, soll sich verkleiden und als Anna posieren. Während dieser Sitzung wird Einari zu einer tiefen Selbsterkenntnis geführt, die er sich nie zuvor eingestanden hat. Wie Orpheus, der gezwungen ist, sich Eurydike zuzuwenden, kann auch Einar nicht mehr anders, als sich von seinem Ich abzuwenden, aus Einar wird Lili Elbe.

Das Stück berührt mit seiner Schilderung von Identität, Transition und der unaufhaltsamen Suche nach der persönlichen Wahrheit.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Das Stück berührt mit seiner Schilderung von Identität, Transition und der unaufhaltsamen Suche nach der persönlichen Wahrheit. Dufaj Edyta

Trotz der Unterstützung durch Gerda, ihre Freunde Ernest und Hélène und Lilis Bruder Marius stößt Lili in der Gesellschaft und sogar bei ihrer eigenen Schwester Dagmar auf Ablehnung. Durch Hélènes Bemühungen wird sie schließlich Professor Warnekos vorgestellt, der sich bereit erklärt, sie in der Städtischen Frauenklinik Dresden zu operieren und ihr zu einem vollen Leben als Frau zu verhelfen.

Glamouröse Broadway-Musik in bester Hollywood-Manier der 30er Jahre.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Glamouröse Broadway-Musik in bester Hollywood-Manier der 30er Jahre. Dufaj Edyta

Nach ihrer ersten Operation erwirkt sie in einer dramatischen Begegnung mit dem dänischen König ein königliches Dekret, das ihre Geschlechtsidentität bestätigt und ihre Ehe mit Gerda auflöst. Als Pionierin der geschlechtsangleichenden Chirurgie erträgt Lili die schrecklichen Schmerzen und Gefahren der damals noch begrenzten und experimentellen Medizin und stirbt schließlich an den Komplikationen einer zweiten Operation.

Lili erträgt die schrecklichen Schmerzen und Gefahren der damals noch begrenzten und experimentellen Medizin.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Lili erträgt die schrecklichen Schmerzen und Gefahren der damals noch begrenzten und experimentellen Medizin. Dufaj Edyta

Die Inszenierung beginnt mit einem klaren Statement zur Dualität und der Suche nach der eigenen Identität – ein Motiv, das sich durch die gesamte Oper zieht. Die von Picker geschaffene musikalische Landschaft bedient sich neoromantisch-postmoderner Klänge und trägt die emotionale Last der Erzählung wirkungsvoll. Der melodische Fluss und der rhythmische Drive der Musik ergänzen sich mit der schauspielerischen Darstellung zu einer sinnlichen und zugleich tief bewegenden Symbiose. Drama und Unterhaltung wechselten sich mitunter in atemberaubender Geschwindigkeit ab. Wenn Lili ihre Mutter besucht, um ihr von ihrer Geschlechtsumwandlung zu erzählen, erreicht die Musik eine an Richard Strauss’ “Salome” erinnernde Dramatik, um kurz darauf in bester Hollywood-Manier der 30er Jahre glamouröse Broadway-Musik zu verbreiten.

Das Bühnenbild und die Videoinszenierung von Krystian Lada waren eine Augenweide.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Das Bühnenbild und die Videoinszenierung von Krystian Lada waren eine Augenweide. Dufaj Edyta

Lili Elbe ist die erste abendfüllende Oper über eine transsexuelle Person, und der amerikanische Transgender-Bariton Lucia Lucas verkörpert nicht nur die Geschichte der Pionierin Lili Elbe, sondern auch seine eigene. Ihre Darstellung der Lili Elbe ist atemberaubend und authentisch, ihre sonore Baritonstimme erfüllt den Raum mit einer tiefen Emotionalität, die Lilis innere Zerrissenheit und ihre Sehnsucht nach Wahrheit und Akzeptanz spürbar macht. Sylvia D’Eramo als Lili Elbes Ehefrau Gerda Wegener liefert eine Leistung ab, die das Publikum emotional berührt und beeindruckt. Auch die Nebendarsteller, allen voran Mack Wolz in mehreren Rollen und Théo Imart – die Partie der Gräfin ist für eine Countertenorstimme geschrieben – tragen wesentlich zu dieser großartigen Produktion bei.

Drama und Unterhaltung wechselten sich mitunter in atemberaubender Geschwindigkeit ab. <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Drama und Unterhaltung wechselten sich mitunter in atemberaubender Geschwindigkeit ab. Dufaj Edyta

Die dramatische Handlung wird exzellent auf die Bühne gebracht, wobei die Ästhetik der 30er Jahre in Bühnenbild und Kostümen hervorragend zur Geltung kommt. Die Inszenierung steckt voller kluger und origineller Einfälle, die die Erzählung spannend halten, ohne vorhersehbar zu sein. Auch die Choreographie von Frank Fannar Pedersen trägt wesentlich zu dieser dramatischen Spannung bei und ermöglicht eine visuelle Darstellung von Lilis innerer Zerrissenheit und Wandlung.

Sylvia D'Eramo als Lili Elbes Ehefrau Gerda Wegener.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Sylvia D'Eramo als Lili Elbes Ehefrau Gerda Wegener. Dufaj Edyta

Ein weiterer Höhepunkt ist die musikalische Leitung von Modestos Pitrenas, der das Sinfonieorchester St. Gallen leidenschaftlich dirigierte und dem Publikum eine emotionale Tiefe bot, die gut mit der visuellen Ästhetik der Inszenierung harmonierte. Seine einfühlsame Interpretation der Partitur und das Sängerensemble lieferten eine klare musikalische Aussage, die die innere Reise der Protagonisten verstärkte.

Auch der Chor weiß zu überzeugen.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Auch der Chor weiß zu überzeugen. Dufaj Edyta

Das Bühnenbild und die Videoinszenierung von Krystian Lada sind eine Augenweide und ergänzen die musikalische und dramatische Erzählung gekonnt durch eine visuelle Präsentation, die den ständigen Wandel und die innere und äußere Wandlung der Hauptfigur symbolisierte.

Die Choreographie von Frank Fannar Pedersen trägt wesentlich zur dramatischen Spannung bei.  <span class="copyright">Dufaj Edyta</span>
Die Choreographie von Frank Fannar Pedersen trägt wesentlich zur dramatischen Spannung bei. Dufaj Edyta

„Lili Elbe“ ist nicht nur eine Hommage an das Leben und die Herausforderungen einer Transfrau in einer restriktiven Gesellschaft, sondern auch ein universelles Statement über menschliche Identität, Selbstakzeptanz und die mutige, unaufhaltsame Suche nach der persönlichen Wahrheit. Die Uraufführung am Theater St. Gallen ist somit nicht nur ein Fest für Augen und Ohren, sondern auch eine tief bewegende Erinnerung an die unaufhaltsame Kraft der Selbstfindung und die verändernde Kraft der Akzeptanz.

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.

Weitere Spieltage sind der 29.10., der 2.11., der 5.11., der 11. und 17.11. sowie der 3. Dezember.