Realität und Fiktion

Gottfried-Helnwein-Ausstellung in der Albertina.
Anlässlich des 75. Geburtstages von Gottfried Helnwein zeigt die Albertina in Wien eine umfassende Ausstellung seiner Werke aus den letzten drei Jahrzehnten. Der 1948 in Wien geborene Künstler thematisiert in seinen Werken immer wieder die Grausamkeit und Unbarmherzigkeit der Menschheit sowie die Schrecken des Faschismus.

Helnweins hyperrealistische Malerei, die stets auf fotografischen Vorlagen basiert, beeindruckt durch ihre technische Perfektion. Obwohl die Werke einen realistischen Eindruck vermitteln, distanzieren sie sich durch ihre überdimensionale Größe und monochrome Farbgebung von der Wirklichkeit; Helnwein erweitert den ursprünglichen Realitätseindruck, den sie vermitteln sollen, und schafft eine symbolhafte Darstellung. In seinem Bildkosmos verschmilzt der Künstler Elemente aus diametral entgegengesetzten Welten: Manga-Figuren und Kriegsfotografie, Donald Duck und Adolf Hitler, die Jungfrau Maria und Nazi-Schergen.

Diese Kombinationen erzeugen eine Mischung aus Groteske und Horror, die beunruhigt und beängstigt. Helnwein zwingt zur Einsicht in die kausalen Abhängigkeiten der Motive und konfrontiert schonungslos mit der Misshandlung und Ausbeutung von Kindern, mit Täter- und Opferschaft, mit dem Zynismus moderner Kriegsführung und mit der Banalität des Bösen und Niederträchtigen in all seinen Erscheinungsformen.

In der Werkserie „The Disasters of War“ integriert er mangaähnliche Mädchenfiguren in Katastrophenszenarien. Durch diese bizarre Verschmelzung von Manga-Elementen mit realen Katastrophen zeigt der Künstler die Absurdität dieser Ereignisse auf. Gelegentlich tauchen in Helnweins Arbeiten auch Mädchen in Militäruniformen oder mit Waffen in der Hand auf, manchmal mit Verbänden oder blutigen Wunden. Diese Szenen erinnern an Kindersoldaten oder jugendliche Amokläufer in den USA. Helnwein thematisiert damit die Anfälligkeit von Kindern für Manipulationen aller Art und ihren ideologischen Missbrauch.
Die Comicfiguren in seinen Bildern wirken wie perfide imaginierte „Einflüsterer“ und unterstreichen zugleich den Wahnsinn dieser bildgewordenen Illusionen. Helnwein knüpft an die Lebenswelt der Kinder an, in der das Erdachte und Fantastische die gleiche Daseinsberechtigung hat wie das Reale: Das Monster unter dem Bett wird zur realen Gefahr, der Teddybär empfindet echte Gefühle und die Schranktür wird zum Eingang in ein fremdes Reich. Doch hier im Bild entspringt nichts der blühenden Phantasie eines Kindes, im Gegenteil. Helnwein lässt die Grenze zwischen Realität und Albtraum verschwimmen, um zu zeigen: Monster gibt es wirklich.

Helnwein hat sich im Laufe seiner Karriere einer Vielzahl von Techniken und Medien bedient: von frühen Aquarellen und Zeichnungen über Aktionen und deren fotografische Dokumentation bis hin zu Malerei, Bühnenbildern für Theaterinszenierungen und Installationen im öffentlichen Raum. Häufig gehen die Gattungen ineinander über oder Elemente, die ursprünglich in einem anderen Kontext entstanden sind, werden an anderer Stelle wiederverwendet. Helnwein versteht sich daher in erster Linie als Konzeptkünstler.

In den 1980er-Jahren, als er nach Deutschland übersiedelte, erkannte Helnwein die Bedeutung des Formats in der Kunst. Um in der Flut von Bildern, Werbung, Plakaten und Reklametafeln wahrgenommen zu werden, mussten seine Arbeiten größer werden. Diese Zäsur in seinem Schaffen führte dazu, dass seine Kinderporträts monumental wurden und teilweise ganze Hausfassaden einnahmen. Helnwein verleiht den Kindern damit eine außergewöhnliche Präsenz, die die Bedeutung und Dringlichkeit seiner Themen vermittelt. Die überlebensgroßen Figuren und die minutiöse Darstellungsweise, in der der Künstler jedes Detail mit unglaublicher Genauigkeit wiedergibt, entsprechen einer Übersteigerung der Wirklichkeit, die uns verstört und schlichtweg überwältigt.
Die Ausstellung ist vom 25. Oktober 2023 bis 11. Februar 2024 in der Albertina zu sehen.