Carmen im Spielzeugladen

Kammerorchester Arpeggione legte unter Werner Bärtschi ein glänzendes Saisonfinale hin.
Fritz Jurmann
Hohenems Arpeggione hat am Wochenende die heurige Saison mit einem solchen künstlerischen Ausrufezeichen beendet, dass das Publikum den Start der neuen Konzertreihe im März kaum erwarten kann. Das Kammerorchester blickt nach über 30 Jahren auch diesmal auf eine überaus geglückte Saison mit vielen Glanzpunkten zurück. Der klug disponierende Intendant Irakli Gogibedaschwili, die umsichtige Präsidentin Stéphanie Gräfin Waldburg-Zeil mit ihrem rührigen Vereinsobmann Josef Kloiber und Ulrike Neubacher in ihren anschaulichen Einführungen fungierten als geschickte Drahtzieher im Gefüge.

Zuletzt hat der Schweizer Dirigent und Pianist Werner Bärtschi als charismatisch weißhaariger Charakterkopf gemeinsam mit dem Weltklasse-Cellisten Wen-Sinn Yang den Abend entscheidend geprägt. Bärtschi ist Arpeggione seit Jahren immer enger verbunden und wurde heuer, nachdem Chefdirigent Robert Bokor sein Amt nach zwölf Jahren niedergelegt hat, zum „Artist in Residence“ ernannt. Sehr zu recht, wie er gleich am Beginn mit Bachs erstem „Brandenburgischen“ beweist, dessen Cembalopart er wie ein gut geöltes Schweizer Uhrwerk abschnurren lässt. Dass dies an einem Konzertflügel geschieht, ist zwar eine historische Inkorrektheit, die man aber toleriert, umso mehr, weil sich das Ensemble im Sinn historischer Informiertheit in größtmöglich abgeschlankter Besetzung mit bloß sechs Streichern plus Flöte präsentiert. Die dadurch gegebene Lebendigkeit und Wendigkeit im Musizieren wird auch weidlich genutzt und trägt viel dazu bei, dass die zunächst etwas unterkühlten Temperaturen im unbeheizbaren Rittersaal des Palastes zumindest gefühlt deutlich ansteigen.

Mit Bach geht es weiter, freilich einem der profiliertesten seiner Söhne, Carl Philipp Emanuel. Dessen frühes Konzert in a-Moll aus der von ihm propagierten Welle der Empfindsamkeit ist Wen-Sinn Yang anvertraut, einem Schweizer Cellisten mit taiwanesischen Wurzeln und einem internationalen Terminkalender. Mit größter Ruhe und Überlegenheit nimmt er sich der vielen hübschen Details dieser Partitur an, tritt mit dem Solocellisten des Orchesters in einen Dialog, der oft zum Disput wird, und verströmt sanglich den Zauber seines kostbaren Instruments. All dies wird noch übertroffen durch seine Zugabe, dem Capriccio von Alfredo Piatti, einem italienischen Komponisten des 19. Jahrhunderts, das alle denkbaren technischen Spitzfindigkeiten am Cello schonungslos ausreizt. Das Publikum springt auf – Standing Ovations!

Schon hier ist Werner Bärtschi in seine zweite Funktion als versierter Dirigent mit oft großen Gesten geschlüpft, der gerne die einzelnen Werke in ihrem geistigen Gehalt auslotet. Dies gelingt ihm auch in der wohl größten Besetzung, die man bei diesem „Kammerorchester“ je erlebt hat und die für die berühmt-berüchtigte „Carmen-Suite“ die gesamte Bühnenbreite des Rittersaales einnimmt. Der Russe Rodion Schtschedrin schrieb dieses Werk 1967 nach Bizets Oper als Ballettmusik mit viel Einfallsreichtum und Hintersinn für seine als Primaballerina tätige Gattin. Es ist eine Show für ein gut aufgelegtes und flexibles Orchester mit einem ebensolchen Dirigenten. Arpeggione und Bärtschi erfüllen diese Vorgaben mit Lust und Laune, wenn die berühmten Themen der Oper auch oft nur bruchstückhaft anklingen, ineinander verschachtelt und immer wieder durch die unmöglichsten Einwürfe von 47 Schlaginstrumenten mit fünf Schlagwerkern im Orchester so „gestört“ werden, dass man aus dem Schmunzeln und Staunen nicht herauskommt. Das sind 45 spannende Minuten „Carmen im Spielzeugladen“, ein eigenständiger genialer Wurf, der auch hier entsprechend bejubelt wird.