Zum Sterben schön

Kultur / 28.11.2025 • 14:15 Uhr
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MK/Udo MittelbergerDirigent Philippe Herreweghe wußte am Pult zu überzeugen.

Auftakt der Bregenzer Meisterkonzerte: Beethoven in Bestform, Cherubini in Ewigkeit.

Bregenz Man saß noch im Halbdunkel, als die letzten Klänge des Agnus Dei verklingen wollten, aber nicht konnten. Es war, als müssten sie noch ein wenig bleiben, weil draußen, in der Eiseskälte, keiner auf sie wartete. Dirigent Philippe Herreweghe ließ die Hände sinken wie einer, der weiß, dass er eben das Zeitliche berührt hat – und das Publikum, wussten plötzlich, wie schön sterben klingen kann, wenn Luigi Cherubini die Noten dazu schreibt und ein belgischer Chor das Amen haucht, als wolle er den Himmel überzeugen, doch bitte etwas länger geöffnet zu bleiben.

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Die Spieldauer der Eroica beträgt je nach Interpretation etwa 44 bis 62 Minuten. In Bregenz waren es genau 44 Minuten.

Doch beginnen wir, wie Beethoven es getan hätte: mit einem Paukenschlag. Seine Eroica, dieser tonale Zweimeterhüne, wuchtet gleich im ersten Satz die Hörner so selbstbewusst in den Raum, dass selbst die Geigen einen Moment lang schauen, wer da das Alphatier markiert. Das Orchestre des Champs-Élysées – historisch informiert und trotzdem ganz Gegenwart – knistert in den Holzbläsern, grollt in den Kontrabässen, und die Naturhörner blitzen wie frisch geputzte Revolutionsfanfaren. Man spürt es: In dieser Musik darf jedes Instrument ein wenig über sich hinauswachsen.

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Der zweite Satz, die Marcia funebre, beginnt mit einem Cello-Seufzer, der klingt, als hätte er die Nacht auf einem schlecht gefederten Kutschbock verbracht. Die Oboen setzen nach, mit jener typisch beethovenschen Mischung aus Träne und Trotz, während die Pauke zwischendurch ins Notizbuch der Sterblichkeit klopft: Bitte ankreuzen: endgültig – vielleicht – wir sehen weiter. Überhaupt entfaltet sich hier ein Trauerzug, bei dem man unwillkürlich den Hut zieht, obwohl man gar keinen trägt. Das ist nämlich im großen Saal vom Bregenzer Festspielhaus nicht gerne gesehen.

Nach dem spöttisch hüpfenden Scherzo, in dem die Hörner sich dreist ins Rampenlicht werfen, als wären sie der dionysische Junggesellenabschied der Klassik, folgt das Finale: Variationen über ein tanzendes Motiv, von Beethoven aus dem Prometheus herübergerettet. Herreweghe dirigiert das, als würde er jedem Instrument sagen: „Du darfst, aber schweif nicht ab.“ Flöten glitzern, Fagotte brummen gutmütig, die Streicher rennen wie auf Federkern – und niemand stolpert. Es ist ein kleines Wunder.

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Das Collegium Vocale Gent brachte das Publikum dem Himmel ein Stück näher.

Nach der Pause dann Cherubini, der Meister der noblen Einfalt. Sein Requiem in c-Moll verzichtet auf Solisten, als wollte er sagen: Eitelkeiten bitte an der Kirchentür abgeben. Wer aber bitte braucht Solisten, wenn es das Collegium Vocale Gent gibt. Die Chorbässe im Dies irae glänzen mit einem Sahnegrummeln, das selbst laktoseintoleranten Personen behagt. Die Posaunen – ja, Cherubini bringt sie exakt dosiert – klingen nicht nach Weltuntergang, sondern nach einem höflichen Hinweis der höheren Instanzen: „Bitte spätestens jetzt an das Wesentliche denken.“

Im Pie Jesu schweben die hohen Stimmen so hell, dass selbst die Klarinetten kurz innehielten, ob sie nicht doch lieber Engel werden möchten. Das Orchester antwortet mit gedämpften Streichern, die sich wie ein Teppich aus Klang legen – kein Perser, aber handgeknüpft in Demut.

Und dann Stille. Eine Stille, die sich nicht traut, Applaus zu sein. Erst nach Sekunden das erste Klatschen, zögerlich, dann stärker, schließlich ein Donner, der Beethoven gefallen hätte, weil er alles hasste, was lauwarm war.

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Was bleibt? Eine Ahnung davon, dass Musik mehr kann, als nur schön zu sein. Sie kann uns daran erinnern, dass wir Helden waren – oder zumindest sein könnten, wenn wir kurz aufhören, uns selbst so wichtig zu nehmen. Kurzum: Ein Auftakt zur aktuellen Saison der Bregenzer Meisterkonzerte, den dieses Label auch verdient.

Nächster Termin: Freitag, 19. Dezember 2025, Estonian National Symphony Orchestra, Olari Elts (Leitung), Simone Lamsma (Violine). Mehr unter https://www.bregenzermeisterkonzerte.at/