„Kokain wird zur Volksdroge“

Vorarlberg / 27.11.2012 • 21:51 Uhr
„Kokain wird zur Volksdroge“

Drogenbericht 2012: Immer mehr Männer mittleren Alters greifen unter Druck zu Kokain.

Bregenz. Sie haben einen Job, manche sogar zwei. Sie haben Familie und oft Schulden. Sie sind männlich, über 45 Jahre alt und kokainsüchtig. Auf immer mehr Vorarlberger trifft diese Beschreibung zu, wie Reinhard Haller, Drogenbeauftragter des Landes, bei der Vorstellung des Vorarlberger Drogenberichts 2012 am Dienstag erklärte.

Dass immer mehr Männer, die beruflich und sozial gut integriert sind, zu Kokain greifen, liege oft am hohen Druck. Um Depressionen zu entgehen, versuchten sie, sich selbst zu heilen – was mit Drogen schlecht funktioniert. „Das sind Menschen in meinem Alter, die ihre Leistung aufpulvern wollen. Da haben wir dramatische Steigerungen“, erklärt der 61-Jährige. Die Sucht trifft eine bisher nicht als gefährdet geltende Gruppe. „Kokain ist keine Droge von Künstlern und Prostituierten mehr“, formuliert der Suchtexperte. „Es wird zur Volksdroge.“ Der heimliche Griff zum Kokain passiert vor allem bei Männern: „Das Verhältnis zu Frauen ist sechs zu eins“, sagt Haller. Rund 2200 Vorarlberger konsumieren laut seiner Schätzung regelmäßig Kokain.

„Das Drogenproblem ist unlösbar“, vermerkte Haller. „Und Vorarlberg ist keine Insel der Seligen.“ Die Drogensituation in Vorarlberg ist laut Bericht aber weitgehend stabil und mit jener in den restlichen Bundesländern – abgesehen von Wien – vergleichbar.

Die Anzahl der Anzeigen wegen Suchtmittelmissbrauchs ist 2011 mit 1092 nahezu gleich geblieben. Im Vorjahr starben acht Menschen in Vorarlberg am Drogenkonsum – was ebenfalls im Schnitt der vergangenen Jahre liegt.

Anstieg bei Substitution

Sorgen bereitet Drogenexperten allerdings der starke Anstieg in den Substitutionsprogrammen. 723 Personen wurden im Vorjahr in Vorarlberg behandelt. Vor zehn Jahren waren es noch 419. Grund für die Steigerungen seien lockerere Zugangsregelungen.

Synthetische Drogen werden häufiger eingenommen. Der Heroinkonsum nimmt hingegen ab. Es werde bei den Konsumenten immer stärker als „Loser“-Droge gesehen. „Cannabis hat sich auf ­hohem Niveau eingependelt“, berichtet Haller. Zuletzt war ein leichter Rückgang feststellbar. Gab 2004 etwa noch jeder zehnte 12- bis 17-Jährige an, Cannabis bereits probiert zu haben, war es im Vorjahr nur mehr jeder zwanzigste.

Positiv vermerkt wird auch, dass der Spritzenaustausch angenommen wird. Die HIV-Ausbreitung unter Drogensüchtigen konnte somit gestoppt werden. Drei Millionen Spritzen wurden bisher in Vorarlberg ausgegeben, rund 300.000 Stück sind es im Jahr.

Der Drogenbericht bietet einen Überblick über Angebot und Nachfrage, wie Gesundheitslandesrat Christian Bernhard im Vorwort schreibt. Beides gibt es in Vorarlberg weiterhin, was sich auch am Preis zeigt. Ein Gramm Kokain kostet im Straßenverkauf durchschnittlich 80 Euro, erklärt Oswald Wachter, Chefinspektor der Drogengruppe beim Landeskriminalamt. Heroin kostet in etwa gleich viel. Für Cannabis sind 7 bis 10 Euro pro Gramm üblich. Kokain käme vor allem über die Benelux-Länder, Schweden und Schweiz nach Vorarlberg.

Mehr Hilfe für Suchtkranke

Die Angebote für Suchtkranke wurden derweil in Vorarlberg ausgebaut und damit Lücken geschlossen. Die Drogenanlaufstelle „Ex & Hopp“ wurde im Frühjahr im neuen Gebäude in Dornbirn eröffnet, die Suchthilfe der ­
Caritas neu strukturiert. In der Therapiestation Lukasfeld gibt es seit heuer auch eine eigene Entgiftungsstation im Bundesland. Die Wartezeit für Plätze hat sich drastisch verkürzt. „Statt zwei bis drei Monate sind es jetzt nur noch sieben Tage“, gibt Thomas Neubacher, Suchtkoordinator der Landesregierung, an.

Weniger Koma-Säufer

Haller warnt vor stark steigenden Zahlen bei der Spielsucht. Es gebe mehr pathologische Spieler. Ein grenzüberschreitendes Interreg-Projekt soll hier Unterstützung bieten. „Sucht ist Sucht. Die gefährlichsten Drogen sind legal“, warnt er vor Alkohol und Zigaretten. Sie töten weit mehr Menschen als illegale Drogen. Beim Alkohol wird aber eine positive Entwicklung erfasst: Der Trend des Koma-Saufens scheint seinen Höhepunkt überschritten zu haben.

Sucht ist Sucht. Die gefährlichsten Drogen sind legal.

Reinhard haller
„Kokain wird zur Volksdroge“

Drogenbericht 2012

» Acht Menschen starben in Vorarlberg 2011 aufgrund ihres Drogenkonsums. Am höchsten war die Zahl 2009 mit 14 Toten, am niedrigsten 2008 mit zwei Opfern.

» 1092 Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz gab es 2011 in Vorarlberg. Ein Jahr zuvor waren es 1143.

» Im Jahr 2011 wurden die Kontakt- und Anlaufstellen in Vorarlberg 29.489 Mal genutzt. Ein Viertel der Besucher waren weiblich, drei Viertel männlich.