Entscheidende neunzig Tage
Als Michael Watkins vor über einer Dekade sein Buch „Die entscheidenden 90 Tage“ veröffentlichte, traf er ins Schwarze: Sein Ratgeber, wie man die ersten drei Monate in einer neuen Führungsposition bestmöglich nutzt, entwickelte sich zu einem Mega-Bestseller. Hierzulande erfuhr dieser jedoch nur limitierte Verbreitung. Auch unsere Beratungspraxis zeigt, dass sich viele heimische Führungskräfte nur unzureichend mit ihrer neuen Rolle auseinandersetzen – gleichgültig, ob es sich um eine erste Teamleitung oder eine Vorstandsposition handelt. Oftmals sorgen Fehleinschätzungen der „neuen Führungskräfte“ in den ersten Wochen und Monaten für einen holprigen Start.
Neue Führungskräfte unterschätzen den Bedarf an Klarheit: Das ihnen anvertraute Team hat einen legitimen Anspruch auf Richtung. Das betrifft die inhaltliche Schwerpunktsetzung, die Art der Zusammenarbeit sowie die Zusammensetzung des Teams. Dabei verlangt keiner, dass am ersten Tag detaillierte Pläne vorliegen. Aber die groben Leitplanken zum „Was“, „Wie“ und „Wer“ müssen rasch feststehen.
Neue Führungskräfte überschätzen das, was möglich ist: Die Realitäten der neuen Rolle stellen sich oft als restriktiver heraus als anfänglich geglaubt. Überbordende Erwartungen und falscher Ehrgeiz sind dann Zutaten zum sicheren Misserfolg. Erfolg hingegen versprechen die zügige und bewusste Konzentration auf wenig Wichtiges sowie das rasche Treffen überfälliger operativer Entscheidungen.
Neue Führungskräfte überschätzen die Wirksamkeit ihrer eigenen Kommunikation: Die Lücke, die sich zwischen Gesagtem und Verstandenem auftun kann, ist für viele neue Führungskräfte ein Schockerlebnis. Hier hilft nur überlegtes Formulieren der Botschaften, um diese mit hoher Frequenz direkt ins Team zu tragen. Sie unterschätzen die notwendige Unterstützung ihrer Chefs. Wer glaubt, als neue Führungskraft beweisen zu müssen, dass er alles alleine schafft, beraubt sich auch der wichtigen „Ressource Chef“. Gerade in den ersten Wochen und Monaten darf sich eine neue Führungskraft von ihren Chefs einiges wünschen.
Teams verlangen zu Recht, dass die neue Führungskraft ihren Einstieg besonders sorgsam managt, um die beschriebenen Fehleinschätzungen zu vermeiden. Zu glauben, dass man die Herausforderungen der ersten 90 Tage in einer neuen Führungsrolle freihändig gut meistert, ist hingegen die gröbste Fehleinschätzung überhaupt.
Die neuen Führungskräfte überschätzen zumeist die Wirksamkeit ihrer eigenen Kommunikation.
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Johannes Schneider ist Senior Manager bei Contrast Management-Consulting.
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