Abgewählt
So sehr sich die Lager auch bemühen, für den 22. Mai eine Richtungswahl auszurufen, so sehr lohnt es sich, ein wenig tiefer zu blicken. Es geht weniger um eine Richtung oder darum, mehr oder weniger offen zu sein. Es geht um die Wahl für oder gegen das System. Und zwar gar nicht so sehr bei den Kandidaten selbst, sondern bei dem, was mit ihnen verbunden wird. Van der Bellen als „System“. Hofer als jemand, der wenigstens etwas tun wird, auch wenn hier sehr großer Erwartungsspielraum zu sein scheint. Die einen erwarten, dass er ganz schlimme Sachen macht, die anderen, dass endlich jemand irgendetwas macht.
Wir sollten also alle keine Spaltung fördern, was letztlich durch ein „Alle gegen Einen“ erst so richtig passiert, sondern ernsthaft über ein gemeinsames attraktives Zukunftsbild diskutieren und entscheiden. Dieses enthält dann vermutlich kaum mehr die Elemente, die Struktur und die Personen, welche jetzt die letzten vorhandenen Energien für den Machterhalt einsetzen.
Wenn man schon die beiden Richtungsbegriffe bemühen will, dann wohl eher im Zusammenhang mit unseren Gehirnhälften: Argumente und Fakten auf der einen Seite, Bauchgefühl und Hausverstand, oder, besser: die Intuition auf der anderen. Je mehr wir zurzeit mit vermeintlichen Gewissheiten, also Fakten, versorgt werden – die sich immer öfter als falsch oder geschönt herausstellen – umso mehr fühlt sich das ganze System irgendwie falsch an. Wir brauchen nur die sich abzeichnenden Grenzen des Geld-, Schulden-, Öko- und Sozialsystems anzuschauen. Wenn alle offenbar alles richtig machen und trotzdem das Ganze immer übler wird, haben wir ein Systemproblem.
Nun ist es aber so, dass man mit den Fröschen am Teich nicht über die Trockenlegung des Teiches zu einem raschen Konsens kommen kann. Es ist daher schon fast erheiternd, dass nun gerade ein Kandidat wie Van der Bellen, vor allem durch die Unterstützung aller Parteien außer der Freiheitlichen, als Vertreter des Systems gesehen wird, dem einfach nicht mehr vertraut wird. Da kann sich Norbert Hofer freuen. Diese Wahl ist für viele Bürger offenbar das einzige Ventil, über das sie ihrem Ärger Luft machen können.
Wir sind eine starke Demokratie. Wir brauchen die politische Auseinandersetzung. Leider hat die völlig überzogene „political correctness“ der vergangenen Jahre eine auch manchmal robuste Auseinandersetzung um Inhalte von vorneherein verhindert. So gesehen ist das neu erweckte, besondere Interesse vieler Bürger am politischen Diskurs als positive Entwicklung zu sehen. Die exportorientierte Wirtschaft dürfte in einem Fall einen Kollateralschaden durch die eingeschränkte Auslandsunterstützung bei Wirtschaftsmissionen erleiden, aber vermutlich aushalten. Der vermutlich größere Kollateralschaden für die Wirtschaft ist ein Verbleib des Status quo. Wichtiger als diese Wahl selbst ist die Abwahl des bestehenden Systems durch verantwortliche Führungskräfte. Und das rasch.
markt@vorarlbergernachrichten.at
Hubert Rhomberg ist Baumeister und Geschäftsführer der Rhomberg Holding.
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