Exorbitantes Privileg
„Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten.“ Dies merkte Kurt Tucholsky nicht ohne Ironie 1931 an. Genau diese Tatsache hat man damals ignoriert. Das Ergebnis war ein wirtschaftliches Desaster und als Folge eine weltpolitische Katastrophe. Nach 1945 war man einsichtiger. Ein bis dahin nicht gekannter Zuwachs an Beschäftigung, Wohlstand und sozialer Sicherheit ist das Ergebnis einer offenen, liberalen und zunehmend globalisierten Weltwirtschaft. Wollte man nunmehr das „Schwert des Protektionismus“ ziehen, würde man sich in dieses stürzen, insbesondere die USA selbst. Diese haben mit einigen Ländern zwar beträchtliche Defizite im Warenverkehr, woran eigene Firmen zugleich viel Geld verdienen, mit anderen aber Überschüsse, insbesondere bei Agrar- und Rüstungsprodukten, vor allem aber bei Dienstleistungen, dabei insbesondere im Finanzbereich.
Am meisten aber profitiert Amerika von der Tatsache, dass seit weit mehr als sieben Jahrzehnten ihre Währung, der Dollar, globale Leit-, Reserve- und vor allem Handelswährung ist: bis 1971 im System fester Wechselkurse, danach mit nicht mehr an Gold gebundenen Petrodollars. Diese Gegebenheit bringt den USA eine Vielzahl von Vorteilen und großen Nutzen, der bei weitem das Handelsbilanzdefizit von 500 Mrd. USD übersteigt, sodass man schon seit Langem von einem exorbitanten Privileg spricht. Dieses besteht darin: so haben ausländische Unternehmungen 8000 Mrd. Dollar mehr in den USA investiert als umgekehrt. Amerika kann sich billiger verschulden und erhält mehr für seine Anlagen im Ausland, d.h. „billig ausleihen, teurer verleihen“: Nutzen 200 Mrd. Dollar. Die Ausgabe von Dollars erbringt zusätzlich jährlich 100 Mrd. und alle Vorteile zusammen übertreffen bei Weitem die Nachteile. Im Übrigen entsteht auf diese Weise ein monetäres Gleichgewicht des Schreckens, insbesondere gegenüber China, bei dem Amerika unter dem Strich in vielfacher Hinsicht im Vorteil ist. So wird etwa sein riesiges Budgetdefizit aus dem Ausland, vor allem aus China, billig finanziert, weil die USA selbst unterbesteuert sind und überdies viel weniger sparen als investieren.
Das Handelsbilanzdefizit ist der bescheidene Preis, mit dem notwendige Liquidität in den globalen Geldkreislauf eingespeist wird, während der Nutzen daraus für die USA viel höher ausfällt. Ohne diese Liquidität würde der Dollar exporthemmend viel stärker notieren.
Daraus ergibt sich, dass man nicht krämerhaft bilaterale Handelsbeziehungen betrachten darf, sondern den Gesamtnutzen für die USA sehen muss. Dies gilt es, den Protektionisten und Abschottern in Amerika, aber auch anderswo und auch bei uns vor Augen zu führen. In der Weltwirtschaft hängt wie bei einem Zauberwürfel eben alles mit allem zusammen. Mit simplen Deals oder „America first“, „buy America“ und „hire Americans“ also mit Rosinenpicken lassen sich die hausgemachten Probleme nicht lösen, aber für sich selbst und insgesamt großer Schaden anrichten.
Auf diese Weise entsteht ein monetäres Gleichgewicht des Schreckens zwischen China und den USA.
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Dr. Hannes Androsch ist Finanzminister i. R. und Unternehmer.
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