Hannes Androsch: Europas Zukunft wählen?
Wir leben in Europa seit 75 Jahren in Frieden, Freiheit und Sicherheit mit steigendem Wohlstand und sozialer Absicherung. Diese Entwicklung ist wesentlich der Integration Europas, beginnend mit der Montanunion 1951, geschuldet. Wegen des Kalten Krieges konnte unser Land erst 1995 in vollem Umfang daran teilnehmen. Dann aber hat sich der bis dahin bestehende Nachteil rasch in den großen Vorteil einer positiven Entwicklung gewandelt.
Welches Glück dieses Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsprojekt bedeutet, zeigt sich im Vergleich mit den vorangegangenen etwa 100 Jahren vom Krim-Krieg über den Preußisch-Deutschen Krieg, der Urkatastrophe des Ersten Weltkrieges und schließlich des Infernos des Zweiten Weltkrieges, verbunden mit der katastrophalen Zwischenkriegszeit, die geprägt war von nationalistischer und autokratischer Kleinstaaterei und der Weltwirtschaftskrise.
Doch das europäische Integrationsprojekt musste auch Rückschläge hinnehmen. Dazu gehören das Scheitern der europäischen Verfassung 2004 durch die Ablehnung Frankreichs und der Niederlande, das Stocken des Lissabonner Prozesses und die Finanzkrise von 2008, deren Folgen bis heute nicht überwunden sind. Zu diesen Schwächungen und Lähmungen kamen jüngst die rückwärtsgewandten, europafeindlichen Behinderungen des Orbánismus mit seinen alten, bösen Geistern des Nationalismus und das Drama der verhängnisvollen Brexit-Entscheidung. Gerade Letztere sollte für alle ähnlichen Tendenzen ein abschreckendes Beispiel sein.
Die EU darf sich nicht in Nebenthemen wie der Gurkenkrümmung oder der Benennung von Obstler oder Marmelade verzetteln.
Hannes Androsch
Europa braucht mehr politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sowie Solidarität, um den äußeren Bedrohungen – ob von Putin, Trump oder China oder im Zusammenhang mit den Brandherden in Nahost oder den Problemen Afrikas – zu begegnen. Dazu kommen globale Themen wie Digitalisierung, Globalisierung, demografischer Wandel, Migration und Flüchtlingsströme sowie Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz. Kein Land in Europa kann diese Probleme allein lösen, sehr wohl aber ist dies im Schulterschluss gemeinsam möglich. Deshalb darf sich die EU auch nicht in Nebenthemen wie der Gurkenkrümmung oder der Benennung von Obstler oder Marmelade verzetteln – diesbezüglich soll jede Region auf ihre Weise selig werden –, sondern sich den großen Herausforderungen und Aufgaben zuwenden. Dafür muss in Richtung sinnvoll gestalteter Vereinigter Staaten von Europa dringend wieder Fahrt aufgenommen werden. Nur wenn dies gelingt, können wir vermeiden, zum Spielball oder einzeln zu Spielbällchen der großen Mächte auf der Bühne des Weltgeschehens zu werden. Daher sind die bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament so bedeutsam, daher ist es wichtig, mit hoher Wahlbeteiligung die europäischen Kräfte zu stärken, die europafeindlichen Kräfte zurückzuweisen: um unserer Jugend eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.
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