Koalition der Willigen

Migrationsforscher Gerald Knaus bei Club Forum Alpbach in Bizau.
Bizau Nachdem feststand, dass das diesjährige Forum Alpbach nur in digitaler Form stattfindet, entschied der Club Alpbach Vorarlberg, einen lokalen Hub zu veranstalten und einige namhafte Persönlichkeiten nach Bizau einzuladen. Unter diesen war auch der renommierte Migrationsforscher Gerald Knaus, dessen Thinktank den EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei 2016 initiierte.
Zukunft des Flüchtlingsdeals
Seit Februar dieses Jahres ist das Flüchtlingsabkommen jedoch Geschichte. Wie geht es weiter? Wie kann die EU in Zukunft die Kontrolle behalten, ohne permanent mit den Grundwerten zu brechen und gegen die eigenen Gesetze zu verstoßen? Im Laufe des Gespräches räumte Knaus mit gängigen Klischees einer drohenden Flüchtlingswelle auf und legte aufschlussreiche Zahlen und Fakten vor. Es wird selten erwähnt, dass etwa 90 Prozent der afrikanischen Flüchtlinge auf ihrem Kontinent bleiben. Die sich in der Türkei befindenden Syrer bilden mit 3,5 Millionen die größte Flüchtlingspopulation, machen aber lediglich vier bis fünf Prozent der Gesamtbevölkerung der Türkei aus.
Wenn die EU diesen Prozentsatz der eigenen Bevölkerung aufnehmen würde, wären das alle Flüchtlinge der Welt. Doch innerhalb der EU ist auch die derzeit deutlich niedrigere Zahl an Flüchtlingen sehr ungleich verteilt. Knaus betonte, dass Deutschland den Großteil von ihnen aufgenommen hat. Denn obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention von 145 Staaten ratifiziert wurde, verfügen nur wenige über ein Asylsystem, das die Richtlinien tatsächlich umsetzt. Eine entscheidende Basis für die Vorreiterrolle Deutschlands würden dabei die Geschichten bilden, die in Deutschland erzählt werden und in der Bevölkerung präsent sind. Knaus verweist auf Erzählungen von vertriebenen Deutschen, die aufgenommen wurden, auf Erinnerungen an Schießbefehle an der Berliner Mauer sowie auf die anhaltende Betonung des deutschen Grundgesetzes, nach dem die Würde des Menschen unantastbar ist. Im Gegensatz zu Österreich komme noch dazu, dass in Deutschland keine Rechtsaußenpartei je in eine Koalition aufgenommen werden würde und Merkel in der Flüchtlingsfrage stets an ihrem Kurs festhielt.
Der Weg zu einer Verbesserung der Situation an der griechisch-türkischen Grenze kann daher nur über eine „Koalition der Willigen”, nicht aber über eine Konsensentscheidung aller 27 Mitgliedsstaaten erfolgen. Als drängendste Maßnahmen für die Zukunft sieht Knaus dabei eine europäische Unterstützung in den Aufenthaltsländern, eine humane und schnelle Reduktion von irregulärer Migration durch faire Asylverfahren und eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Ländern an den EU-Außengrenzen.
Spirit of Alpbach
Dank der Unterstützung der Partner des Club Alpbach Vorarlberg, der Gemeinde Bizau und der Pension Taube war es möglich, den „Spirit of Alpbach“ nach Bizau zu bringen. Kamingespräche wie das obige bildeten den Ausgangspunkt für spannende Diskussionen.
Ein Bericht von Martina Germann und Elisabeth Lanser. Am 18.9. teilen die Stipendiaten in der Bibliothek Dornbirn ihre Erfahrungen (club@club-alpbach-vorarlberg.at).