Teilzeitarbeit soll unattraktiver werden

Markt / 14.02.2023 • 15:43 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Vollzeitarbeit soll attraktiver werden, da sind sich alle einig, aber mit anderen Maßnahmen. <span class="copyright">apa</span>
Vollzeitarbeit soll attraktiver werden, da sind sich alle einig, aber mit anderen Maßnahmen. apa

Lob und Tadel für Ministervorschlag für geringere Sozialleistungen bei Teilzeit.

Wien, Schwarzach Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will Vollzeitjobs stärken. “Wir brauchen weitere Schritte, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen, wie eine geringere Abgabenbelastung und noch treffsicheren Einsatz von Sozialleistungen. In Österreich wird wenig unterschieden bei Sozial- und Familienleistungen, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen”, so der Minister zum “Kurier”.

Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher. <span class="copyright">vn</span>
Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher. vn

Diese Aussage schlägt hohe Wellen. Es gibt Lob und Kritik.

ÖGB-Landesvorsitzender Reinhard Stemmer. <span class="copyright">ögb</span>
ÖGB-Landesvorsitzender Reinhard Stemmer. ögb

“Eine Bestrafung”

Reinhard Stemmer, Vorarlberger Chef des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, spricht sich entschieden gegen eine Kürzung von Sozial- und Familienleistungen bei Teilzeitarbeit aus: „Frauen und Alleinerziehende zu bestrafen, ist sicher nicht die Lösung im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel.“ Denn sie würden ja meist nicht freiwillig weniger arbeiten, sondern weil sie aufgrund mangelnder Kinderbetreuung dazu gezwungen werden. Hier müsse man ansetzen.

SPÖ-Frauensprecherin Elke Zimmermann. <span class="copyright">spö</span>
SPÖ-Frauensprecherin Elke Zimmermann. spö

Ins selbe Horn bläst SPÖ-Frauensprecherin Elke Zimmermann. Sie spricht von einem „frauenfeindlichen“ Vorstoß. „Die Regierung ist unfähig, Frauen bei der Pflege von Angehörigen und der Betreuung der Kinder zu entlasten und will sie gleichzeitig damit bestrafen, ihnen bei Teilzeitarbeit die Sozialleistungen zu kürzen.“

“Geisterfahrer”

Für FPÖ-Frauensprecherin Nicole Hosp ist Kocher “mit seinen Ideen völlig falsch abgebogen und entpuppt sich als sozialpolitischer Geisterfahrer.“ Vielmehr brauche man ein bedarfsgerechtes Angebot an Kinder- und Schülerbetreuungseinrichtungen und einen kontinuierlichen Ausbau frauen- und familienfreundlicher Arbeitsmodelle.

FPÖ-Frauensprecherin Nicole Hosp. <span class="copyright">fpö</span>
FPÖ-Frauensprecherin Nicole Hosp. fpö

Der Wirtschaftsbund wiederum sichert Minister Kocher Unterstützung zu. Mit seinem Vorschlag habe er den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber es soll Unterschiede geben. Denn selbstverständlich solle eine alleinerziehende Mutter, die aufgrund ihrer Betreuungspflichten nur in Teilzeit arbeiten kann, unterstützt werden. Umgekehrt dürften aber jene, die freiwillig nicht mehr als 20 Stunden arbeiten wollen, nicht die gleichen Sozialleistungen erhalten.

Teilzeitarbeit soll unattraktiver werden

Auch der Handelsverband unterstützt den Vorschlag. Man müsse Vollzeitarbeit attraktivieren. „Selbstverständlich sind dabei Betreuungssituationen, die eine Vollzeittätigkeit verhindern, zu berücksichtigen”, so Geschäftsführer Rainer Will.

Ein Scherz?

Arbeiterkammerpräsident Bernhard Heinzle glaubte zunächst an einen „Faschingsscherz“. Es sei ja nicht möglich, dass das ein ernstgemeinter Vorschlag sein soll. „Wir sind dafür, dass Vollzeitarbeit attraktiver gestaltet wird, allerdings mit anderen Maßnahmen, mit flexibleren Arbeitszeiten und einer besseren Kinderbetreuung.“ Denn das sei für die meisten Teilzeitkräfte der Knackpunkt. „Viele möchten mehr arbeiten, aber ohne entsprechende Kinderbetreuung ist das nicht möglich.“

Arbeiterkammerpräsident Bernhard Heinzle. <span class="copyright">ak</span>
Arbeiterkammerpräsident Bernhard Heinzle. ak

Kocher relativiert

Am Nachmittag wollte Martin Kocher seine Aussagen dann relativiert wissen. Es gehe nicht um Kürzungen von Sozialleistungen, sondern darum, bei neuen Maßnahmen, Änderungen und Reformen den Teilzeit-Aspekt stärker zu berücksichtigen.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO sieht zwar ein großes Potenzial darin, Teilzeitbeschäftigte auf Vollzeit umzustellen, denn der Wunsch bei den Beschäftigten sei da, aber: Es müssten auch die Betriebe diese Bereitschaft nutzen – und die Vorschläge von Kocher zu einer Einschränkung der Sozialleistungen seien zu unkonkret, um hier einen Beitrag zu mehr Vollzeitarbeit zu erkennen.

Zum einen gebe es die Universalleistungen wie die Familienbeihilfe oder die Krankenversicherung. Beides seien sogenannte “horizontale Leistungen”, bei denen Kinderlose für Familien mit Kindern einzahlen bzw. Gesunde für Kranke. Dies sei unabhängig vom Erwerbsstatus, so Christine Mayrhuber (WIFO). Ebenfalls kein Ansatzpunkt zur Steigerung seien einkommensabhängige Abgaben, wie für die Arbeitslosenversicherung oder die Pensionen. Denn je weniger der Bürger verdiene, desto weniger zahle er ohnehin dafür ein.

Christine Mayrhuber (WIFO). <span class="copyright">wifo</span>
Christine Mayrhuber (WIFO). wifo

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