Wie sich Verpackungsriese Alpla für die Zukunft aufstellt

Der Harder Verpackungskonzern Alpla steht im 68. Jahr seines Bestehens vor großen Herausforderungen. So führt CEO Philipp Lehner das Unternehmen in die Zukunft.
Hard Vor zwei Jahren übernahm Philipp Lehner in dritter Generation die Führung des Verpackungskonzerns Alpla, des größten Unternehmens, das in Vorarlberg seinen Hauptsitz hat. Im Familienunternehmen ist der 38-Jährige seit 2014 tätig. Lehner übernahm zu einem herausfordernden Zeitpunkt – mitten in der Corona-Pandemie – die Führung, zudem wurde in dieser Zeit die Kritik an Kunststoffverpackungen immer größer, im vergangenen Jahr kamen der Ukrainekrieg und damit verbundene Lieferengpässe dazu. Wie er mit der aktuellen Lage umgeht, wieso er via Twitter in die Kunststoffdebatte eingreift und wo er das Unternehmen in den nächsten Jahren sieht, hat er im VN-Gespräch formuliert.
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Mit Ihrem Tiktok-Kanal „Plastic is fantastic“ konzentrieren Sie viel Kritik auf sich, was ist die Intention dahinter?
Philipp Lehner Die Intention ist, der öffentlichen Debatte diesen „Plastic ist fantastic“-Anteil zu geben. Es ist unbestritten: Plastik ist groß. Und es ist auch unumstritten, Plastik ist unglaublich wichtig und ermöglicht vieles, was wir heute als Lebensstandard bezeichnen. Das wird nur in dieser Diskussion, die hochemotional ist, gerne vergessen. Die Mission mit meinem Tiktok-Kanal, aber auch mit anderen Kampagnen, die wir fahren, ist es einfach, die öffentliche Diskussion – speziell in unseren großen Märkten – um diese Facette zu bereichern, wo wir von diesen positiven Effekten berichten und auf Fakten basierend klarstellen, warum der Kunststoff von der Wichtigkeit dort steht, wo er heute steht. Die Diskussion ist sehr einseitig, sehr kurzsichtig, und da ist es ganz wichtig für die Öffentlichkeit und auch für uns als Industrie, dass man das aus unserer Sicht auch beleuchtet. Es geht weniger um meine Position, sondern um eine Bereicherung der Debatte.

Kann man das Thema faktenbasiert diskutieren? Welche Erfahrung haben Sie gemacht?
Lehner Ich habe grundsätzlich den Anspruch an mich, dass ich mich nicht leiten lasse von dem, was andere tun, sondern dass ich tue, was ich für richtig halte. Wir sind ordentlich in unseren Analysen, wir machen sehr viel mit Drittportalen, wir kennen die Märkte, wir sehen, was vor Ort passiert. Wir haben da unsere Leute vor Ort und können so relativ gut analysieren und aufarbeiten, was passiert und was zusätzlich gemacht werden kann, damit man diese Nebeneffekte eines steigenden Wohlstands, eines steigenden Konsums, eines steigenden Bedarfs nach Kunststoff bestmöglich abfangen kann. Noch einmal: Wichtig ist, dass die grundsätzliche Datenanalyse gemacht wird. Ein Beispiel: Je länger die Diskussion fortgeführt wird, umso mehr neue Datensätze gibt es. Einer meiner liebsten Datensätze, der gerade vor Kurzem vom Kieler Marineinstitut veröffentlicht worden ist, ist dem Thema “Was treibt für Kunststoff im Meer?” gewidmet. Am Anfang war es klar – das ist die PET-Flasche und dergleichen. Jetzt hat sich herausgestellt, dass über 60 Prozent Material der Fischereiindustrie sind. Sie bilden die Masse von dem, was wir im Meer finden. Darum ist es ganz wichtig, dass wir uns nicht von Floskeln leiten lassen, sondern tiefer gehen und herausfinden, wo das Problem liegt, um dann wirklich effektive Maßnahmen zu treffen.
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Ist die Diskussion um Kunststoff eine Diskussion der Industriestaaten oder wird sie auch in anderen Märkten so vehement geführt?
Lehner Den Anspruch haben alle. Ich glaube nicht, dass es irgendjemanden gibt, der im Müll leben will. Nichtsdestotrotz: Wenn man nicht dreimal in Urlaub geht und sich das Brot Tag für Tag zusammensuchen muss, hat man andere Prioritäten. Es ist primär ein Thema in den Industriestaaten, eine Debatte ist es aber über alle Länder hinweg, nur mit einer anderen Wichtigkeit. Wir können uns ja nur mit dem Thema beschäftigen, weil wir viele andere Probleme schon gelöst haben. Eines unserer Themen, auf die wir immer wieder hinweisen: PET hat ein Grundversorgungselement, um Trinkwasser in die entlegensten Bereiche dieser in Entwicklung stehenden Länder zu bringen. Wir schauen uns laufend Projekte an, die in die entlegenen Regionen, in denen wir aktiv sind, immer wieder innovative und marktgerechte Lösungen bringen. Sprich leistbare, sichere Lösungen. Da gibt es vieles, Helioz ist eines dieser Beispiele. In Südostasien sind wir daran, ein Wiederbefüllsystem für Kleinstmengen zu entwickeln. Wir sind mit Sammelsystemen dran. Da kommen immer wieder Ideen auf, wo wir sagen, das ist nicht nur ein Thema in den Industriestaaten, sondern das sind praktizierbare Lösungen für alle. Auf das fokussieren wir uns. Wir wollen lösungsorientiert handeln, nicht nur aus dogmatischen Gründen.
Trotz der Diskussion: Es ist festzustellen, dass der Kunststoffverbrauch zu- und nicht abnimmt …
Lehner Es werden immer wieder Kapazitäten gebraucht, es steigen die Abnahmemengen. Speziell im Verpackungsbereich ist Kunststoff sehr eng an den Lebensstandard und dessen Anstieg gekoppelt – in Asien und in Afrika gibt es da sehr erfreuliche Tendenzen in den letzten Dekaden –, und auch an das Bevölkerungswachstum. Das führt dazu, dass stetiges Wachstum zu verzeichnen ist. In Amerika und Europa ist das Wachstum vielleicht ein anderes, aber auch da sehen wir noch eine Zunahme bei den Volumina, allerdings in geringerem Ausmaß.
Gibt es ein Szenario für das Unternehmen, sollte der Verbrauch von Kunststoffverpackungen abnehmen?
Lehner Es gibt alle möglichen Szenarien, das kann man nicht ausschließen. Stand heute sehe ich jetzt aber nicht die Möglichkeit, wie wir den Lebensstandard halten, die sichere Versorgung gewährleisten können und uns gleichzeitig radikal, d. h. auch in großen Mengen, vom Kunststoff wegbewegen. Ich glaube, das wird eine kontinuierliche Entwicklung, wo man sich zuerst auf Nischen fokussiert in Ländern, wo die Kaufkraft im Vergleich um einiges höher ist. Und da kann es Zusatzmöglichkeiten geben, um Konsumgüter sicher, leistbar und verlässlich an die Konsumenten zu bringen. Da tut sich vieles. Sehr viel Augenmerk liegt drauf, sehr viel Investitionskapital, sehr viel menschlicher Genius, um Lösungen anzudenken. Im Moment haben wir aber noch nichts, das sich gut skalieren lässt. Aber man kann nicht ausschließen, dass es irgendwann einmal eine Möglichkeit gibt. Am Horizont ist es noch nicht absehbar. Diesem Gedanken folgend, dass es darum geht, Lösungen erst einmal zu erforschen, zu entwickeln, um zu sehen, ob sie tragfähig sind, das macht der Markt und wir als Unternehmen natürlich auch. Wir greifen auf die Erfahrung von über 65 Jahren zurück – wir haben die Industrie mitgeprägt und weitergebracht – und wollen das Know-how nutzen, um neue Lösungen anzudenken. Wir wollen als Firma Lösungen für ein sicheres, nachhaltiges und leistbares Leben weltweit zur Verfügung stellen, und in diesem Sinne sind wir sehr stark an Problemlösungen orientiert. Das ist es, was mich und mein Team täglich aus dem Bett fallen lässt. Und im Zuge dessen schauen wir uns Papierflaschen an, wir schauen uns kompostierbare Verpackungen an und auch Refill-Lösungen. Wir schauen uns ganz stark Recycling-Produkte an. Da haben wir inzwischen schon sehr stark investiert. Wir schauen uns an, wo man Produktmaterialien, die heute nicht recycelbar sind, durch solche ersetzen kann, die recycelbar sind. Eines der großen Probleme, wenn man von Umweltverschmutzung spricht, sind Sachets (eine kleine Verpackung in Taschen- oder Beutelform), die in Asien zu Tausenden von Milliarden Stück verwendet werden, die aber nach dem Konsum kein Zweitleben haben. Die haben keinen Wert nach dem Konsum und damit werden sie auch nicht gesammelt und bleiben irgendwo liegen. Da sind wir dran, Verpackungskonzepte zu entwickeln, damit wir hochwertige Materialien einsetzen, die dann aber auch nach der Sammlung einen Wert haben und somit Insentivierungssysteme schaffen können, dass Menschen sich als selbstständige Unternehmer verwirklichen können und im Zuge dieser Selbstständigkeit zirkuläre Systeme herstellen.
Mit zirkulären Systemen kennt sich Alpla schon lange aus. Alpla hat bereits 2005 begonnen, sich für Nachhaltigkeit zu engagieren. Ist dieser Vorsprung jetzt auch ein Wettbewerbsvorteil?
Lehner Auf jeden Fall. Auf der Technologieseite haben wir ein starkes Standbein, wo wir unser Know-how in andere Länder tragen können. Auf der anderen Seite haben wir bei unseren Kunden eine hohe Glaubwürdigkeit, nämlich dass wir nicht von der Stange kaufen und dass wir nicht erst seit gestern am Thema dran sind, sondern bald schon auf zwei Dekaden zurückschauen können, in denen wir uns mit Technologie, Qualität, Sammlung und schlussendlich regenerativer Verpackung auseinandersetzen.
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Ein solches Forschungsprojekt ist die papierene Flasche… ist das massenfähig?
Lehner Wir haben die letzten 18 Monate nochmals einen riesigen Fokus darauf gelegt und haben erhebliche Fortschritte gemacht. Im ersten Schritt wird es sich eher als Nischenprodukt eignen und darauf werden wir auch hinarbeiten, aber das wird noch etwas Zeit brauchen. Ob wir das mittelfristig massenfähig herausbringen, ist nicht klar. Da gibt es noch viel zu tun.
Wird Alpla ein Recyclingunternehmen mit angeschlossener Produktion?
Lehner Recycling wird in der nächsten Dekade nochmals wachsen. Das wird sicher nochmals an Stärke und Größe gewinnen. Was in 20 oder 30 Jahren das Zugpferd sein wird, da reden wir in 20 Jahren darüber. Aber wir setzen auf Recycling und wir wissen, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Wir haben derzeit 280.000 Tonnen Output. Wir sind einer der Größeren in der Branche, es gibt wenige, die mehr Kapazität haben wie wir.
Ist ein Pfand ein gutes Mittel, um das Recycling zu forcieren?
Lehner Wir stehen dem Pfand relativ relaxed gegenüber. Pfand hat als Hauptthese, dass es einen höheren Rücklauf erzeugt. Das sieht man auch in einigen Märkten, aber es gibt auch Märkte, wo das ohne Pfand funktioniert. Grundsätzlich ist die Entwicklung für uns okay. In Europa begrüßen wir das Pfand, wobei – da braucht es noch etwas mehr Rücklauf.

Herr Lehner, Sie haben die Führung im Unternehmen übernommen, als alle Krisen gleichzeitig begannen. Wie haben Sie das empfunden, wie empfinden Sie es weiterhin?
Lehner Resümee nach zwei Jahren: Viel gelernt, viele Gespräche geführt, mit dem Team verständigt, damit wir gut abgestimmt sind. Wir bedienen viele Märkte, unser Geschäft ist weitläufig, aber wir haben lokal gute Leute verankert, die uns helfen, den Grundgedanken vor Ort dann auch auszuführen. Das hat sich während der Covid-Pandemie definitiv gezeigt. Wir sind relativ früh draufgesprungen, haben eine Grundabstimmung gemacht und haben es dann den regionalen Einheiten überlassen, die Details zu managen. Das gibt mir für die nächsten Krisen Zuversicht. Egal, was kommt, da finden wir Lösungen. Ob das nun auf der politischen Seite ist, auf der Lieferkettenseite, ob das am Markt ist, da sind die Wege kurz, da sind der Abstimmungsgrad und das Vertrauen hoch. Da kann man schon in die eine oder andere Battle ziehen.
Wie führt man einen weltweit tätigen Konzern? Wie funktioniert das in der Krise, wie überhaupt?
Lehner Organisationsentwicklung war sicher ein Thema der letzten zwei, drei Jahre, um die Führbarkeit zu gewährleisten. Wir haben aber grundsätzlich ein Organisationssetup, wo man klare Zuständigkeitsbereiche mit starken Verantwortungen, starken regionalen Teams – da haben wir in den letzten zehn Jahren viel gemacht – definiert hat. So können wir unsere Anliegen relativ schnell umsetzen. Das hat bei Covid gut funktioniert, das funktioniert auch bei Innovationen, beim Recycling. Für die Spannbreite mit 46 Ländern, in welchen wir tätig ist, geht das sehr gut. Unser Geschäft lebt wie jedes Geschäft von der Umsetzung. Eine Idee, eine Strategie kann jeder an die Wand malen, es geht um die Umsetzung. Da sind wir gut, da wollen wir aber noch mehr Fokus drauf legen. Unser Geschäft lebt nicht davon, dass wir in Hard zwei, drei gute Ideen haben. Für das laufen uns die Kosten von Kansas City bis Shanghai viel zu schnell aus dem Ruder. Wir brauchen lokale Mitarbeiter, die die Dinge sehen und direkt umsetzen. Ansonsten lässt sich das Werk nicht mit einem vertretbaren Kostensatz erhalten.

23.300 Mitarbeiter arbeiten derzeit in den 190 Werken des Vorarlberger Kunststoffpioniers in 46 Ländern. FA
Kann man bei Fachkräftemangel in einem globalen Unternehmen auch auf diese globalen Mitarbeiter zugreifen?
Lehner Eine unserer drei strategischen Säulen für den nächsten Jahreszyklus ist „Talent power House“. Da wollen wir explizit den Fokus darauf setzen, dass wir unseren globalen Setup, unsere Größe uns zunutze machen. Wir haben die Möglichkeit, am Standort A auszubilden und dann am Standort B mitzuwirken – ob Remote oder über eine Versetzung. Diesen globalen Talentepool-Gedanken, den sind wir nochmal am Forcieren. Das ist ein ganz klares Ziel. Da sehen wir einen großen Vorteil gegenüber vielen unserer Mitbewerber. Dass wir das richtige Maß an Talenten haben, ist einer der großen Erfolgsgaranten für die kommenden Jahre. Ein Beispiel: Wir haben ein Entwicklungszentrum in Brasilien aufgestellt, wo wir Leute ausbilden. Wir wissen, da gibt es schon gut ausgebildetes technisches Personal, die stehen auch zur Verfügung. Die sind sprachlich gut ausgebildet und die werden bei globalen Projekten eingesetzt. Da versprechen wir uns viel davon, denn das Thema Mitarbeiter ist in Europa eine erhebliche Herausforderung.
Merken Sie z. B. in Europa eine Zurückhaltung potenzieller Fachkräfte, in Ihrem Unternehmen zu arbeiten?
Lehner Die letzten Jahren haben wir ein bisschen gekämpft, wie alle anderen Unternehmen auch. Inzwischen sehen wir, dass sich der Markt umkehrt. Wenn es drum geht, das System weiterzuentwickeln, sind wir ein wichtiger Schnittpunkt von Brasilien und China. Mein Eindruck ist, dass die Leute das auch wahrnehmen. Leute, die an Lösungen arbeiten und nicht nur Schlechtwetter produzieren wollen, die finden bei uns einen positiven Arbeitsplatz. Da finden wir mehr und mehr Zuspruch.

Wie wichtig ist es für Alpla, als Unternehmen transparent für die Öffentlichkeit zu sein?
Lehner Mir geht es eher darum, Gutes zu tun und darüber zu sprechen. Wir haben so viele interne Projekte, wo wir Dinge umsetzen, Lösungen erarbeiten, Dinge analysieren, Leute fördern. Da gibt es viel Spannendes zu erzählen. Das hat den Vorteil, dass wir ins Gespräch kommen mit Leuten, dass z. B. ein Erfinder auf uns aufmerksam wird und sich bei uns meldet. Wir können neue Lösungen entwickeln. Das sind positive Aspekte. Da gibt es nichts zu verstecken. Speziell in der Kunststoffdiskussion ist es wichtig, dass jemand den Dialog eröffnet. Diesen Weg gehen wir weiter.
Zur Person
Philipp Lehner (38) ist nach einer kaufmännischen Ausbildung und Studienaufenthalten im Ausland, Anstellungen in der Finanz- und Beratungsbranche sowie nach dem MBA-Abschluss an der Harvard Business School seit Juni 2014 bei Alpla tätig. Im Familienunternehmen arbeitete er zunächst in einem Plant-Trainee-Programm in Lübeck, danach wechselte er für 18 Monate als Plant Manager zu Alpla Iowa in die USA. Im Anschluss übernahm er als Regional Manager für zweieinhalb Jahre die Verantwortung für die Geschäfte in den USA, bevor er Ende 2018 nach Hard zurückkehrte. Seit Januar 2019 verantwortete Philipp als CFO bei Alpla die Bereiche Finanzen, Informationstechnologie, Digitalisierung und Human Resources.
Zum Unternehmen
Gegründet 1954 gründeten Helmuth und Alwin Lehner die „Alpenplastik Lehner Alwin GmbH“ (ALPLA)
Eigentümer Familie Lehner (100 Prozent)
Geschäftsführung (CEO) Philipp Lehner
Mitarbeiter 23.300
Werke 190 in 46 Ländern
Umsatz 2022 5,1 Milliarden Euro
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