Von der Faszination zur Realität

Markt / 06.07.2023 • 22:09 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Wenn einfache kognitive Arbeit durch KI kostengünstiger wird, wird das Handwerk im Gegenzug an Wert gewinnen, ist Kürner überzeugt. KI-generierte Illustration/Midjourney/Matt
Wenn einfache kognitive Arbeit durch KI kostengünstiger wird, wird das Handwerk im Gegenzug an Wert gewinnen, ist Kürner überzeugt. KI-generierte Illustration/Midjourney/Matt

Gerhard Kürner über Chancen von künstlicher Intelligenz für Unternehmen.

Schwarzach, Linz Früher das Auto, dann das Internet, heute die künstliche Intelligenz (KI). Die Welt wandelt sich in rasender Geschwindigkeit. ChatGPT hat in nur drei Monaten 100 Millionen Nutzer erreicht. Ein Experte auf dem Gebiet der KI ist der Linzer Gerhard Kürner. Er war 14 Jahre lang für die voestalpine tätig und gründete zahlreiche Startups, darunter das KI-basierte Marketing-Data-Science-Unternehmen 506.ai. Im VN-Interview spricht er darüber, wie KI unseren Alltag und die Berufswelt verändert.

 

Auf welchen Bereich des Alltags sehen Sie die größten Auswirkungen von KI?

Kürner KI ist schon länger Teil unseres täglichen Lebens. Einfache Beispiele sind die Gesichtserkennung auf dem iPhone oder die Wegstreckenmessung bei Google Maps. Die jüngsten Fortschritte haben es möglich gemacht, dass Maschinenlernen und KI mit deutscher Sprache programmiert werden. Früher war dafür eine ganze Mannschaft von Programmierern notwendig. Es geht nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern assistierende Systeme zu schaffen, die Aufgaben erledigen, die wir nicht gerne machen, die repetitiv sind oder für die wir keine Zeit haben. Ich glaube nicht, dass KI die Menschheit auslöschen wird. Es ist ein Werkzeug, keine denkende Maschine.

 

Heißt das im Umkehrschluss, dass etwa handwerkliche Berufe profitieren?

Kürner Wenn einfache, kognitive Arbeit durch KI kostengünstiger wird, wird das Handwerk im Gegenzug an Wert gewinnen. Um ein Beispiel zu geben: Während eine App-Programmierung momentan 30.000 Euro kostet, könnte der Preis innerhalb der nächsten zwei Jahre auf die Hälfte sinken. Im Gegensatz dazu könnte sich der Preis für handwerkliche Dienstleistungen wie die eines Installateurs in den nächsten Jahren verdoppeln. Ich rechne damit, dass wir eine Renaissance der handwerklichen Berufe erleben werden. Eine KI wird nicht die Haare schneiden, die Winterreifen wechseln oder Möbel reparieren können. Das wird den Wert solcher Tätigkeiten erhöhen. Die Lehre könnte ein Comeback erleben.

 

Welche Herausforderungen sehen Sie für Unternehmen?

Kürner Aktuell liegt eine Herausforderung in der unstrukturierten Art und Weise, wie neue Technologien in Unternehmen eingesetzt werden. Oftmals experimentieren Mitarbeiter individuell mit diesen Werkzeugen, ohne eine klare Struktur oder Berücksichtigung von Datenschutzrichtlinien. Das Problem liegt vor allem in der Führungsebene, die den Einsatz dieser Technologien nicht in strukturierte Veränderungsprozesse einbindet. Es ist wichtig, zuerst eine Problemdefinition zu erstellen und dann nach Lösungen zu suchen, anstatt umgekehrt zu verfahren. Momentan sind viele Führungskräfte überfordert. Ein sinnvoller Ansatz wäre, mit einem Team anzufangen, das begeistert ist. Dieses kann Erfahrungen sammeln, aus denen das Unternehmen lernt, bevor die Technologie breitflächig eingeführt wird. Wichtig ist dabei, die Mitarbeiter aktiv einzubinden, um den Mehrwert zu demonstrieren. Andernfalls besteht das Risiko, dass der Einsatz von KI schnell wieder aufgegeben wird.

 

Sie haben einmal erwähnt, dass Österreich bei KI-Investitionen gleichauf mit Uganda liegt. Haben wir Aufholbedarf?

Kürner Der Vergleich dient dazu, uns wachzurütteln, denn es ist noch nicht zu spät. In der Grundlagenforschung zur KI haben wir in der Vergangenheit möglicherweise Chancen übersehen, und es ist jetzt an der Zeit, diese Lücke schnell zu schließen. Hierbei geht es vor allem darum, die richtigen Ressourcen bereitzustellen, um Rechenkapazitäten und Professuren finanzieren zu können. In jedem Ministerium und Bundesland gibt es verschiedene Ansätze und Initiativen zur KI, die jedoch nicht immer gut aufeinander abgestimmt sind. Es ist wichtig, dass diese Bemühungen koordiniert und effektiv eingesetzt werden.

 

Braucht es mehr gesetzliche und ethische Rahmenbedingungen?

Kürner Es braucht eine Regulierung, aber diese sollte flexibel gestaltet sein und der dynamischen Entwicklung Rechnung tragen. Es wird oft übersehen, dass in vielen relevanten Bereichen bereits strenge Regelungen bestehen, sei es im Datenschutz, bei Persönlichkeitsrechten oder Produkthaftung. Wir sollten die bestehenden Gesetze als Grundlage nutzen. KI ist ein Werkzeug und kann in guter oder schlechter Absicht verwendet werden. Eine mögliche Lösung wäre die Implementierung von Mechanismen, die den Output von KI-Systemen kontrollieren. Zu bedenken ist auch, dass Europa derzeit stark von US-Unternehmen abhängig ist.

„Aktuell liegt eine Herausforderung in der unstrukturierten Art, wie KI in Unternehmen eingesetzt wird.“

Von der Faszination zur Realität
“KI ist ein Werkzeug und kann in guter oder schlechter Absicht verwendet werden”, sagt Kürner. APA/OLIVIER MORIN

Zur Person

Gerhard Kürner

Gerhard Kürner, geb. 1970 in Wels, beschäftigt sich seit den 1980er-Jahren mit den digitalen Möglichkeiten. In den 1990ern arbeitet er an der Einführung der CD-Interaktiv in Österreich und an den ersten Websites. Kürner war er 14 Jahre bei der voestalpine tätig. 2020 gründete er 506.ai, ein KI-basiertes Marketing Data Science Unternehmen zur Analyse, Segmentierung und Aktivierung von digitalen Besucher- und Kundendaten.