Der Grenzüberschreiter

Der ehemalige Extrembergsteiger Gäbi Hanser wird 80. Er bezwingt noch 4000er.
Bludenz Schon als Bub ging ihm die Freiheit über alles. „Mich konnte niemand bändigen.“ Gäbi Hanser, der am 11. Mai achtzig Jahre alt wird, wuchs in der Südtirolersiedlung in Bludenz auf. „Hinter unserem Haus fingen die Berge an.“ Diese versprachen ihm Freiheit. „Mit 12 Jahren riss ich von zuhause aus, weil ich frei sein wollte und mir und meinen Eltern beweisen wollte, dass ich selbstständig bin.“ Drei Tage verbrachte der Sohn eines Eisenbahners auf einer Alpe oberhalb von Bludenz. „Dort oben gab es niemanden, der über mich bestimmte.“ Dort oben schmeckte er die Freiheit und das Abenteuer. Deshalb ließen ihn die Berge nicht mehr los. Deshalb machte er sich immer wieder in unberührter Natur auf die Suche nach dem Gefühl der Grenzenlosigkeit.
Der Schneehölle entkommen
Bereits als Bub gehörte er dem Alpenverein an, den Naturfreunden und den Pfadfindern. „Bei denen habe ich gelernt, wie man ein Zelt aufstellt, Feuer macht und selbst kocht. Das kam mir später auf meinen Expeditionen zugute.“ Bevor Gäbi die höchsten Berge in Europa, Amerika, Afrika, Australien und Neuseeland bestieg, erklomm er die heimischen Berge. „Mein Lieblingsberg war die Zimba. Die hat alles, was man braucht, um sich Kondition anzueignen und seine Kletterfähigkeiten zu verbessern. 73 Mal habe ich sie bestiegen.“
Auch der Hohe Fraßen diente dem gelernten Maschinenschlosser als Trainingsberg. Auf diesen stapfte er viele Male im tiefen Schnee hoch. „Manchmal sank ich bis zur Hüfte ein.“ Einmal kam er in einen Schneesturm und an seine Grenze. „Ich war so müde, dass ich nicht einmal mehr meine Jacke aus dem Rucksack herausholen konnte.“ Sein Körper konnte nicht mehr. Aber dank seiner mentalen Stärke entkam er der Schneehölle. „Der Geist ist der Motor. Er bestimmt über den Körper.“
Der Alpinist rannte nie dem Tod nach, „aber die Grenzen kommen in den Bergen von allein, man läuft nicht bewusst hinein.“ Lawinen, Schneestürme, Kälte, Steinschlag, Gletscherspalten, Sauerstoffmangel – all diesen Gefahren begegnete der (Extrem-)Bergsteiger auf seinen Touren. Einige Male entging Gäbi nur knapp dem Tod. Einmal ging dicht hinter ihm eine riesige Lawine ab in der Silvretta. „Weil es dunkel war, sah ich sie nicht. Aber ich spürte den Luftdruck.“ Auch eine Gletscherspalte wäre ihm einmal beinahe zum Verhängnis geworden beim Abstieg vom Karakorum-Gebirge. „Glücklicherweise blieb ich mit dem Rucksack hängen. Sonst wäre ich in die Tiefe gestürzt.“ Im Pamir-Hochgebirge in Zentralasien retteten ihn drei Russen aus einem Hochlager. „Aufgrund Sauerstoffmangels im Zelt war ich ohnmächtig geworden.“ All dies schreckte ihn nicht, im Gegenteil. „Wenn man in richtiger Not war und mit dem Leben davonkam, wird man noch bergbegeisterter, weil man erkennt, wie viel der Geist und der Körper aushalten können.“
„Es macht süchtig“
Es reizte Gäbi, immer mehr seine Grenzen auszuweiten. Denn: „Grenzen zu überschreiten macht süchtig und glücklich.“ Sein Geist wurde stark, weil er jahrzehntelang über seine Grenzen ging. Trotzdem blieb der Alpinist demütig. Denn: „Die Grenzen hören nie auf. Sie werden immer herausfordernder.“ Gäbi hat Vertrauen zu sich, aber noch mehr vertraut er Gott. „Ich habe in den Bergen eine Beziehung zum Herrgott aufgebaut. Je höher ich kam, umso gläubiger wurde ich. Als Extrembergsteiger ist man oft ausgeliefert und schutzlos. Dann ist es normal, dass man sich an etwas klammert, das über einem steht.“ Vor dem Tod hat sich der Bludenzer, der als junger Mann vier Jahre zur See fuhr, nie gefürchtet. „Ich glaube an ein Weiterleben nach dem Tod.“ Gäbi weiter: „Ich würde heute nicht vor Angst zittern, wenn ich wüsste, dass ich morgen sterben muss. Ich würde ganz bewusst in den Tod gehen.“ Im nächsten Leben würde er sein Leben wieder so gestalten wie in diesem. „Ich habe mein Leben genossen und bereue nichts.“ Aber das jetzige Leben ist noch nicht vorbei. „,Kleinere‘ Berge mache ich noch“, sagt er und versteht darunter auch 4000er. Neben dem Bergsteigen widmet sich Gäbi der Fotografie. Er fängt mit seiner Kamera kleine Details ein, auf seine ganz eigene Art. Seine abstrakten, künstlerischen Fotos kann man ab 2. Juni (19 Uhr) bei einer Ausstellung im Atelier Capelli in Bludenz bewundern. VN-kum
„Ich habe in den Bergen eine Beziehung zum Herrgott aufgebaut.“




Zur Person
Gäbi Hanser
bezwang nicht nur hohe Berge. Er machte sich 1998 auch als erster Österreicher mit Skiern von Sibirien zum Nordpol auf.
Geboren 11. Mai 1943
Ausbildung Maschinenschlosser
Familie verheiratet, zwei Töchter
Hobbys Bergsteigen, Abstrakte Fotografie, Skifahren, Skitouren
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