Mama sein – der schönste Beruf

Warum Gerda Obrist in Vorarlberg zur Pionierin in Sachen Integration wurde.
Dornbirn Die kleine Gerda war ein Wildfang. „Ich kletterte auf jeden Baum. Mit Puppen mochte ich nicht spielen. Am liebsten hätte ich das getan, was die Buben taten: Fußball spielen, ministrieren, Rasen mähen. Aber all das durfte ich nicht, weil ich ein Mädchen war.“ Gerda Obrist (heute 60) war kein „klassisches Mädchen“, wurde aber so erzogen. Das Kind nahm sich seine Mama zum Vorbild. „Ich wollte auch Vollzeitmutter werden und mindestens drei Kinder bekommen.“ Die Dornbirnerin absolvierte die Handelsschule und lernte in dieser Zeit ihren zukünftigen Mann Frank Obrist kennen. Mit 25 wurde die Bankfachfrau zum ersten Mal Mutter. „Ich freute mich riesig auf das Kind.“
Simon wollte leben
Simon, das erste Söhnchen der Obrists, brachte nur 1,86 Kilo auf die Waage, weil es über den Mutterkuchen nicht ausreichend mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt worden war. „Wenn Simon zwei Tage früher zur Welt gekommen wäre, hätte er keine Hirnschädigung gehabt, wäre er zwei Tage später gekommen, wäre er tot gewesen.“ Seine Mutter bemerkte als Erstes, dass mit ihm etwas nicht stimmt. „Simons Augen wanderten umher, mit ihm Blickkontakt aufzunehmen war unmöglich. Er konnte auch nicht nach Gegenständen greifen.“ Nach sieben Monaten stand die Diagnose fest: Zerebralparese, eine irreparable Gehirnstörung, die die Bewegungs- und Sprachfähigkeit, das Sehen und das Denken beeinträchtigt.
Eine Woche durchgeweint
Als Gerda klar war, dass das Kind mehrfach gehandicapt ist, stürzte sie in eine Krise. „Es war ein Albtraum. Ich weinte eine Woche lang durch. Die Ärzte hatten uns prognostiziert, dass unser Kind ein Leben lang ein schwerer Pflegefall sein würde.“ Gerdas Mann Frank war auch traurig, aber er behielt einen klaren Kopf. „Wenn du als Mama aufgibst, dann hat Simon keine Chance. Wir müssen jetzt das Beste aus der Situation machen.“ Seine eindringlichen Worte blieben nicht ohne Wirkung auf Gerda. „Das saß. Ab da war es mein größtes Anliegen, meinem Sohn so viel Therapie wie möglich zukommen zu lassen und ihn in jeder Hinsicht zu fördern.“ Auf keinen Fall wollte Gerda, dass Simon isoliert und am Rande der Gesellschaft aufwächst. „Ein beeinträchtigtes Kind entwickelt sich besser in einem normalen Umfeld, allein schon durch den Nachahmungseffekt. Lernen findet in der Gesellschaft statt.“ Deshalb gründete sie 1989 mit anderen Eltern den Verein „Integration Vorarlberg“. Deshalb setzte sich die Leiterin der ersten integrativen Spielgruppe („Gigampfa“) in Dornbirn über Jahre und mit Erfolg für das Recht auf Integration, auf einen integrativen Kindergarten- Schul- und Arbeitsplatz ein. Simon entwickelte sich besser als erwartet. „Er kann heute mit Krücken gehen, sich verständigen und sogar leichter Arbeit nachgehen.“ Dies schreibt Gerda auch dem Umstand zu, dass er mit drei Geschwistern aufwuchs. „Einige Monate nach seiner Geburt meinte ein Arzt zu mir: „Ein gesundes Geschwisterchen bringt Simon mehr als jede Therapie.“ Die Dornbirnerin nahm ihn beim Wort und schenkte drei weiteren Kindern das Leben. „Meine vier Buben sind mein ganzer Stolz.“
Zufrieden blickt die 60-Jährige auf ihr Leben zurück. „Ich habe alles erreicht, was ich wollte.“ Das Mamasein und das sich Einsetzen für eine Gesellschaft, in der jedem Menschen ein Platz zuerkannt wird, hat sie voll und ganz erfüllt. „Es ist faszinierend, Menschen aufwachsen zu sehen und sie zu begleiten. Für mich ist Mutter sein der schönste Beruf der Welt.“ VN-kum
„Ich wollte nicht, dass Simon isoliert und am Rande der Gesellschaft aufwächst.“




Zur Person
Gerda Obrist
Geboren 27. Mai 1962
Ausbildung Bankfachfrau
Familie vier Söhne, Partner Leo
Hobbys Radfahren, Motorradfahren
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