„Isabella ist ein Lichtwesen, eine reine Seele“

Charlotte und Elmar Burtscher zogen ein gehandicaptes Kind groß. Sie kamen oft an ihre Grenzen.
Dornbirn Charlotte Burtscher (72) ist ein zufriedener Mensch. „Ich bin für alles dankbar, auch für das Schlechte, das mir widerfahren ist. Denn ich bin am Leid und nicht an den guten Dingen gewachsen“, sagt sie und fügt dann noch hinzu: „Das Leid macht einen zufriedener. Heute bin ich selbst für den Kaffee am Morgen dankbar.“ Immer wenn Charlotte in schlechter Verfassung ist, geht sie hinaus in die Natur. „Ich liebe die Bäume und das Wasser.“ Auch bei ihrem Pferd Magic Lewis findet sie Trost. Und im Glauben. „Ich glaube an Jesus und Gott.”

Das Leben verlangte viel von ihr ab, streckenweise zu viel. Manches ging über ihre Kräfte. Die Folgen waren Depression, Burnout und Panikattacken. 1974 wurde die Sekretärin aus Dornbirn zum ersten Mal Mutter. Tochter Andrea krönte das Liebesglück von Charlotte und ihrem Ehemann Elmar. „Der glücklichste Moment in meinem Leben war, als man mir Andrea auf die Brust legte.“
Vier Jahre später wurde Charlotte erneut schwanger. Aber die befruchtete Eizelle nistete sich nicht in der Gebärmutter ein, sondern in einem Eileiter. Die unerkannte Eileiterschwangerschaft hätte sie beinahe das Leben gekostet. „Ich brach auf offener Straße zusammen und verlor viel Blut. Ich war dem Tod nahe.“ Eine Notoperation rettete in allerletzter Minute ihr Leben.

1983 war die Dornbirnerin erneut guter Hoffnung. Doch bereits ab dem fünften Schwangerschaftsmonat gab es Probleme. Drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin im Februar 1984 schlug die werdende Mutter, die in ärztlicher Behandlung war, dann Alarm. „Ich spürte, dass sich mein Kind nicht mehr bewegte. Mein Mann fuhr mich sofort ins Spital. Dort machten die Ärzte einen Notkaiserschnitt. Die Nabelschnur hatte sich um den Hals und den Bauch des Kindes gewickelt.“

Der geschwächten Mutter auf der Intensivstation teilte man mit, dass sie eine Tochter bekommen hätte. „Aber niemand gratulierte mir.“ Charlotte weinte nach der Geburt von Isabella viele Tränen. „Ich hatte Angst ums Kind, das im Brutkasten lag. Man sagte mir, dass es jeden Tag sterben könne.“ Erst vier Tage nach der Geburt bekam sie ihr Baby zu Gesicht. Sie bat eine Krankenschwester, ihr das Kind an die Brust zu legen. „Ich wollte ausprobieren, ob die Kleine trinkt.“ Und in der Tat. In diesem Moment ließ sich das Neugeborene stillen. „Aber dann kam ein Arzt und nahm mir das Kind weg. Er sagte: ,Ihr Kind ist geistig schwer beeinträchtigt. Es wird Sie nie erkennen. Geben Sie es in ein Heim.‘“ Charlotte war schockiert. Doch seine Worte und sein Verhalten konnten das Band der Liebe nicht durchschneiden.

Charlotte und Elmar wollten Isabella auf keinen Fall in ein Heim geben. Sie wollten das gehandicapte Kind selber großziehen und nahmen es frühzeitig aus dem Spital. Aber Isabella ließ sich die ersten 15 Jahre nur schwer ernähren. „Sie hatte Schluckangst. In den ersten vier Monaten musste ich ihr die Muttermilch in den Rachen spritzen.“ Weil sie nur wenig aß, war Isabella oft krank. Zudem quälten sie Erstickungsanfälle, auch nachts. Die Mutter konnte deswegen über viele Jahre keine einzige Nacht durchschlafen. Die Fürsorge für ihr beeinträchtigtes Kind brachte Charlotte schlussendlich an ihr Limit.

Ein doppelter Bandscheibenvorfall, verbunden mit einem Burnout, zwang sie im Jahr 2009 dazu, Veränderungen vorzunehmen. „Jetzt musste ich mich entlasten. Ich hatte mich über viele Jahre selbst vergessen. Mein Körper und meine Psyche zeigten mir, dass es so nicht weitergehen konnte.“ Die Burtschers trafen eine einschneidende Entscheidung. Sie gaben ihre damals 25-jährige Tochter, die man wie ein Kleinkind versorgen muss, in die Obhut der Lebenshilfe. „Es fiel mir schwer, Isabella außer Haus zu geben. Ich liebe sie über alles. Anfangs hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber es gab keine andere Lösung.“

Die Mutter ist froh, dass sich Isabella, die die Wochenenden bei ihren Eltern verbringt, im Wohnheim wohlfühlt. „Sie arbeitet auch gerne in der Werkstätte.“ Auch im städtischen Bauamt hat die 39-jährige Isabella die Möglichkeit ein paar Stunden zu arbeiten – und das schon seit 20 Jahren. Überhaupt hat sich Isabella viel besser entwickelt, als so manche Experten prophezeit haben. „Man darf nicht alles glauben und sollte auf sein Bauchgefühl hören.“ Obwohl Charlotte wegen ihres beeinträchtigen Kindes oft an ihre Grenzen kam, ist sie dankbar, dass sie sich um so einen Menschen wie Isabella kümmern darf. „Für mich ist sie eine reine Seele, ein Lichtwesen und die Verkörperung von Liebe. Es ist ein Geschenk, wenn man so jemanden zu Hause hat.“