Franz Hammerschmid: “Es gibt nicht nur die Perspektive des Anrainers”

Mobilität / 30.07.2022 • 04:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Franz Hammerschmid: "Es gibt nicht nur die Perspektive des Anrainers"

Franz Hammerschmid ist der Herr der strategischen Weiterentwicklung des Schienennetzes der ÖBB. In der Unterflurdebatte von Bregenz vermisst er den Pluralismus der Perspektiven.

Bregenz, Wien Derzeit brüten die ÖBB unter dem Titel Zielnetz 2040+ über die Anforderungen an das Schienennetz in Österreich. Aus Vorarlberger Sicht ist hier ein Kernelement die Verkehrssituation im Großraum Bregenz.

Franz Hammerschmid, Geschäftsbereichsleiter Asset Management, ist für den Schienenausbau verantwortlich. Im Interview erklärt er, worauf die ÖBB ihren Fokus bei Bregenz legen – und warum weder am Arlberg noch beim Schnellzug über München nach Wien rasche Verbesserungen in Aussicht sind.

Die ÖBB erarbeiten derzeit ihre Planvorstellungen “Zielnetz 2040+”, sprich das Schienennetz der Zukunft. Was fehlt in Vorarlberg?

Hammerschmid Die große Frage ist, was wollen die Menschen in Österreich für ein Angebot im Zugfahrplan, mit Verbindungen, Intervallen und Haltestellen. Eingebunden sind unter anderem auch das Land Vorarlberg, das Infrastruktur- und das Finanzministerium. Es zeigt sich, dass der Bedarf im engmaschigen Nah-, Fern- und Güterverkehr im Rheintal steigt. Hier braucht es zusätzliche Gleiskapazitäten, wie wir es auch zwischen Freilassing und Salzburg gemacht haben. In beiden Fällen geht es um die Herausforderung, S-Bahn, Railjet und Güterverkehr möglichst ohne Behinderung zu vereinen.

Franz Hammerschmid, Geschäftsbereichsleiter Asset Management. <span class="copyright">ÖBB</span>
Franz Hammerschmid, Geschäftsbereichsleiter Asset Management. ÖBB

Sie haben Bregenz bereits angesprochen, mit der Debatte um die Unterflurtrasse. Schauen die ÖBB hier mehr auf die eigenen Bedürfnisse und weniger auf jene der Bürger?

Hammerschmid Ich weiß, es ist einfach zu sagen, die in Wien wollen nicht. Die vorgestellte Studie entstand im Auftrag des Landes, gemeinsam mit den ÖBB. Die Debatte wird hier stark aus der Sicht der Anrainer geführt. Die Sicht des Fahrgastes kommt nicht zu Wort, wie auch nicht die des Steuerzahlers. Eine Unterflurlösung bedeutet etwa auch längere und komplexere Wege mit Koffer und Kinderwagen. Dann kommen noch Sicherheitsfragen, etwa der Brandschutz.

Die Sicht des Steuerzahlers spricht wohl auch gegen die dritte Option, den Güterverkehr in den Pfändertunnel zu legen?

Hammerschmid Man könnte natürlich den ganzen Bahnhof in den Pfänder verlegen. Die Erfahrungen zeigen jedoch, je weiter weg die Bahnhöfe von der Bevölkerung sind, desto weniger werden sie genutzt. Und für den Fahrgast ist weder der Bahnhof im Berg noch die Fahrt durch den kilometerlangen Tunnel verlockend.

Das Güterterminal Wolfurt von Süden aus gesehen. <span class="copyright">VN/Lerch</span>
Das Güterterminal Wolfurt von Süden aus gesehen. VN/Lerch

Bei einem Bahntunnel rein für den Güterverkehr muss man sich die Mengen ansehen. Wenn ich auf der Weststrecke nach Salzburg über 100 Güterzüge am Tag habe und hier unter zehn, müsste ich mich vor dem Rechnungshof verantworten, ob dies ein sinnvoller Einsatz des Steuergeldes ist. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, dass sich Güterzüge weiterentwickeln. Die moderne Generation ist so leise, da kann man sich auf dem Bahnsteig unterhalten, wenn einer durchfährt. Für Vorarlberg ist außerdem vor allem der Ost-West-Verkehr von Bedeutung, sei es über Feldkirch oder Lustenau.

Eine der großen Bremsen im Ost-West-Verkehr ist die Arlbergstrecke. Bleibt sie es auch?

Hammerschmid Es ist eine topografisch schwierige Lage. Wo es geht, bauen wir aus, so wie derzeit der zweigleisige Ausbau des Klosterbogens bei Bludenz. Mit dem, was möglich ist, gewinnen wir an Fahrplanstabilität und hier und dort ein paar Minuten. Aber keine halbe Stunde, die notwendig wäre, damit unsere Züge früher in die Netze in Deutschland und der Schweiz übernommen werden. Dafür bräuchte es einen Arlbergbasistunnel zwischen Bludenz und Tirol.

Vorarlberg zwischen zwei Hauptlinien

Das Transeuropäische Netz (TEN) soll den Binnenmarkt stärken, neun Kernkorridore durchziehen Europa, um den Warenverkehr so flüssig als möglich zu halten. Vorarlberg grenzt an zwei Korridore. Skandinavien – Mittelmeer verläuft durch Tirol und den Brenner-Basistunnel, Rhein – Alpen über Bern und Konstanz. Ihnen untergeordnet sind die Schnell-Bahnstrecken, zu denen in Vorarlberg die Verbindung Innsbruck-Zürich über Feldkirch und München-Zürich über Bregenz zählen.

Ich vermute, dass dieser jedoch nicht geplant ist?

Hammerschmid Die großen Gütertransportrichtungen in Europa sind die Nord-Süd-Achsen, hier liegt der Fokus. Ich habe bislang noch keine Forderung von Experten nach einem Arlberg-Basistunnel gehört.

Ein ewiges Wunschkind ist auch die schnelle Verbindung von Zürich über Bregenz und München nach Wien. Bleibt diese Wunschdenken?

Hammerschmid Zwar gibt es Zusagen, Deutschland hat jedoch derzeit ganz offensichtlich andere Prioritäten als die technischen Möglichkeiten für ein solches Projekt zu schaffen. Dies muss man als ÖBB akzeptieren.

<p class="caption">Der Bahnhof Bregenz ist der Angelpunkt für den Bahnverkehr zwischen Vorarlberg und Deutschland.<span class="media-container dcx_media_rtab" data-dcx_media_config="{}" data-dcx_media_type="rtab"> </span><span class="copyright">VN/Steurer</span></p>

Der Bahnhof Bregenz ist der Angelpunkt für den Bahnverkehr zwischen Vorarlberg und Deutschland. VN/Steurer

Liechtenstein sprach sich gegen FL.A.CH aus, daher sind nur eingeschränkte Verbesserungen auf der Strecke nach Vaduz möglich. Wird es im Zielnetz wieder ein Thema werden?

Hammerschmid Die Entscheidung der Volksabstimmung ist bedauerlich. Das Zielnetz 2040+ bezieht sich rein auf das Schienennetz auf österreichischem Boden. Im Vorarlberger Abschnitt werden wir die geplanten Modernisierungen der Haltestellen vornehmen. In Liechtenstein ist es unsere Aufgabe, die Gleisanlagen funktionsfähig zu halten. Weiterführende Planungen gibt es derzeit nicht. Wir müssten uns ansonsten auch die Frage gefallen lassen, ob wir die Volksabstimmung nicht verstanden haben. Aber wir stehen immer für Gespräche zur Verfügung, wenn es um den Bahnausbau geht.