„Mein Überleben muss einen Sinn gehabt haben“

06.08.2023 • 15:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
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Für Manuela Messmer-Wullen ist jeder neue Tag ein Geschenk. Roland Paulitsch (3)

Manuela Messmer-Wullen (73) überlebte einen Schlaganfall. Danach war nichts mehr, wie es war. Als sie sich für Schlaganfallopfer einzusetzen begann, kam sie aus ihrem psychischen Tief heraus.

Lochau Am 1. Juni 1997 wurde ihr Leben von Grund auf verändert. Bis zu diesem schicksalhaften Tag war Manuela Messmer-Wullen (heute 73) eine taffe Karrierefrau. Als solche jettete die gebürtige Kölnerin, die mit einem Vorarlberger verheiratet war, um die Welt. „Ich leitete die Kommunikationsabteilung bei Philips Speech Processing und war weltweit zuständig für die Sprachtechnologie bei Philips Speech Processing.“ Die Arbeit machte ihr großen Spaß. „Kein Tag war wie der andere.“

Manuela war vor dem Schlaganfall eine taffe Karrrierefrau.
Manuela war vor dem Schlaganfall eine taffe Karrrierefrau.

An dem Tag, an dem die Weichen neu gestellt wurden, war sie wegen einer Pressekonferenz nach Hannover gereist. In der Nacht vor der Veranstaltung wachte sie gegen 3 Uhr im Hotelzimmer auf, weil sie extreme Kopfschmerzen hatte. „Ich öffnete das Fenster, nahm zwei Aspirin ein und legte mich wieder hin.“ Um sechs Uhr klingelte der Wecker. „Ich wollte ins Bad gehen und brach zusammen. Dabei bin ich gegen einen schweren Holztisch gekracht.“ Blutend robbte sie zur Toilette. „Ich sah mich im großen Spiegel im Bad. Mein linker Mundwinkel hing herunter. Ich vermutete, dass es ein Hirnschlag ist.“ Panik erfasste sie. Aber es gelang ihr noch, sich mit letzter Kraft zum Telefon zu schleppen. „Ich riss den Hörer herunter und lallte ins Telefon. Dann bin ich ohnmächtig geworden.“

Auf Wanderungen tankte Manuela Kraft für den Arbeitsalltag. Nach dem Schlaganfall musste die gebürtige Kölnerin wieder gehen lernen. Dank monatelangem Gehtraining kann sie heute wieder kleinere Wanderungen machen.
Auf Wanderungen tankte Manuela Kraft für den Arbeitsalltag. Nach dem Schlaganfall musste die gebürtige Kölnerin wieder gehen lernen. Dank monatelangem Gehtraining kann sie heute wieder kleinere Wanderungen machen.

Die zweifache Mutter wurde gerettet. Aber ihr Leben stand auf der Kippe. Sechs Wochen lang wurde die damals 47-jährige Frau auf der Intensivstation betreut. Es folgten weitere sechs Wochen auf einer Normalstation. „Ich habe mich ganz klein gefühlt. Ich konnte nicht mehr richtig reden und nicht mehr gehen. Auch meine Englischkenntnisse waren weg.“ Mühsam lernte sie im Rehazentrum wieder sprechen und gehen. „Es dauerte Monate, bis ich wieder gehen konnte.“

Manuela war eine leidenschaftliche Motorradfahrerin.
Manuela war eine leidenschaftliche Motorradfahrerin.

Eineinhalb Jahre nach dem schicksalhaften Ereignis kehrte Manuela an ihren Arbeitsplatz zurück. „Aber der Job überforderte mich psychisch und physisch. Ich war ihm nicht mehr gewachsen.“ Extrem deprimiert suchte die Frau, der ein Behinderungsgrad von 80 Prozent bescheinigt wurde, um Berufsunfähigkeitspension an. „Ich fiel in ein tiefes Loch. Ich habe mich zu Hause verkrochen und viel geweint.“ Manuela hatte jetzt fast alles, was ihr etwas bedeutet hatte, verloren: ihre Arbeit, die ihr immer so viel Freude gemacht hatte, die Anerkennung, die sie dafür bekommen hatte, ihre Hobbys wie das Skifahren und das Motorradfahren. Trotz ihrer großen Traurigkeit gab sie die Rehabilitation aber nie auf. „Ich bin sieben Jahre lang konsequent zur Therapie gegangen. Meine Kinder gaben mir Sinn und den Antrieb, mich körperlich zu verbessern. Es war mein Wunsch, wieder selbstständig und unabhängig zu werden. Darauf arbeitete ich hin.“

Manuela Messmer-Wullen ging konsequent den Weg der Rehabilitation.
Manuela Messmer-Wullen ging konsequent den Weg der Rehabilitation.

Ihr psychisches Tief überwand sie aber erst, als sie begann, sich für andere Schlaganfallopfer einzusetzen. Den Anstoß für die Patientenarbeit gab ihr der Neurologe Michael Brainin. „Er schubste mich in die Landesorganisation der niederösterreichischen Schlaganfall-Selbsthilfegruppen.“ Manuela merkte, dass ihr die Leitung dieser Organisation guttat. „Ich hatte wieder Beschäftigung und eine Aufgabe.“ Schon kurze Zeit später erreichte sie der nächste Ruf. „Als die europäische Patientenorganisation ,Stroke Alliance for Europe‘ in Brüssel gegründet wurde, wollte Professor Brainin, dass ich die Repräsentantin von Österreich werde.“ Manuela nahm das Angebot an und setzte sich zwölf Jahre lang im europäischen Parlament für die Interessen von Schlaganfallopfern ein. „Ich habe mich wieder nützlich gefühlt und konnte wieder reisen.“

Manuela Messmer-Wullen ist seit 2001 die Vorsitzende der Schlaganfallhilfe Österreich.
Manuela Messmer-Wullen ist seit 2001 die Vorsitzende der Schlaganfallhilfe Österreich.

Seit 2001 ist sie auch Vorsitzende der Schlaganfallhilfe Österreich und macht als solche auf die Krankheit und die Therapiemöglichkeiten im Bereich Herz und Kreislauf aufmerksam. „Ich mache Lobbyarbeit. Das ist das, was ich kann.“ Unter anderem ist es ihr ein Anliegen, dass Menschen im Bereich Rehabilitation zu ihrem Recht kommen. „Ich berate aber auch Angehörige von Schlaganfallpatienten.“

Die Wahllochauerin hält sich gerne am See auf.
Die Wahllochauerin hält sich gerne am See auf.

Manuela hat großen Respekt vor dem Leben. Denn dieses zeigte ihr, dass man selbst nicht alles steuern kann. „Irgendwo sind Grenzen.“ Inzwischen ist sie überzeugt, dass es eine Macht gibt, die die Dinge steuert. „Diese wollte, dass ich überlebe. Es muss einen Sinn gehabt haben, dass ich mich erholt habe – vielleicht wegen meines jahrelangen Einsatzes für Schlaganfallpatienten?“