Von der Flucht vor dem Krieg zur sicheren Zukunft: Eine afghanische Familie überwindet alle Hindernisse

14.11.2023 • 15:45 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Familie Rezai erzählt ihre bewegende Geschichte.
Familie Rezai erzählt ihre bewegende Geschichte.

Familie Rezai musste vor acht Jahren aus Afghanistan nach Vorarlberg fliehen. Ihre Geschichte ist ein kleines Wunder, das, rückblickend, umso schöner wirkt.

von Hannah Swozilek

Darum geht’s:

  • Eine afghanische Familie flieht vor dem Krieg in ihrem Land.
  • Sie erzählen von der gefährlichen Flucht.
  • Die Familie findet in Österreich Sicherheit und neue Perspektiven.

Feldkirch Die dreiköpfige Familie sitzt gemütlich auf der Couch, alle sind gut gelaunt. Sie haben eine schön eingerichtete Wohnung und sind fest im Leben angekommen. Doch das war nicht immer so.

Flucht vor dem Krieg

„Seit 50 Jahren herrscht nun schon Krieg in Afghanistan, da kann man einfach nicht richtig leben. Besonders für Frauen und Kinder ist es gefährlich, wenn man zum Beispiel nach draußen geht. Man weiß nie, ob man wieder zurückkommt. Es war immer so unsicher für uns alle. Ich war schwanger und habe dann meine Tochter bekommen, und da haben wir uns gedacht: Gerade jetzt, für eine sichere Zukunft unserer Tochter, müssen wir ein sicheres Land suchen“, so Arefe Rezai. Die Lage in Afghanistan wird täglich schlimmer, jeder neue Tag bringt ein noch größeres Unheil als der Tag davor.

Auch Reza Rezai hatte allen Grund, Afghanistan zu verlassen. Er half beim Bau einer örtlichen Schule und geriet deshalb ins Visier der Taliban. „Sie haben mich ein paar Mal festgenommen und festgestellt, dass ich beim Schulbau geholfen habe. Das letzte Mal, als sie mich festnahmen, stand ich knapp vor der Todesstrafe. Da haben wir endgültig gedacht: Es ist Zeit zu gehen.“

Obwohl die Tochter klein war – sie war nur acht oder neun Monate alt – entschied die Familie, das Land zu verlassen. Eine der prägendsten Erinnerungen für Reza Rezai ist die Überfahrt mit einem Boot nach Griechenland: „In der Nacht war der Motor vom Boot abgeschaltet, wir waren da mit 70, 80 anderen Personen mitten im Meer. Das Boot war auch vollgelaufen mit Wasser, wahrscheinlich ist da auch irgendwas schiefgelaufen. Da haben wir gedacht, vielleicht ist das hier jetzt das Ende. Es war immer eine 50-Prozent-Chance: Überlebst du oder wirst du sterben?“

Auch der Marsch über die Berge vom Iran in die Türkei ist für Arefe Rezai eine Erinnerung, die sie lieber vergessen würde: „Oftmals hat man schon gemerkt, dass etwas unter den Füßen ist. Aber es war dunkel, und alles war mit Schnee bedeckt. Nachher haben wir gehört, dass das Menschen waren, die auf der Flucht auf dem Berg erfroren sind.“

In Kufstein stiegen sie dann in einen Bus, der sie nach Deutschland bringen sollte. Dank einer kurzen Pause in Innsbruck erfährt Reza Rezai von einem Dolmetscher, dass Österreich wohl das bessere Land für Familien sei, die etwas Ruhe wollten. Und genau danach suchte die Familie.

Ankunft am 24. Dezember

Am 24. Dezember 2015 kommt die Familie in eine Flüchtlingshalle nach Götzis. Arefe Rezai kommt in ein Krankenhaus, weil sie von der Flucht mit der kleinen Tochter so geschwächt ist. Nach einigen Wochen kommen sie dann nach Fraxern. Über YouTube und Nachbarn lernen die beiden Deutsch, müssen sich selber helfen, da sie fast neun Monate keinen Deutschkurs bekommen. „Als wir uns dann beide für den Deutschkurs anmelden konnten, mussten wir mit unserer Tochter am Bahnhof tauschen, weil sich das sonst zeitlich nicht ausgegangen wäre. Unsere Wohnung war so abgelegen, dass die Busverbindungen einfach nicht so gut waren“, erzählt Arefe Rezai. Mithilfe der Caritas gelingt es der Familie schließlich, eine Wohnung in Feldkirch zu bekommen.

Reza Rezai beginnt eine Lehre als Koch, während Arefe Rezai ihren Pflichtschulabschluss nachholt. Die Tochter kommt in die Spielgruppe, um die Sprache zu lernen und sich durch andere Kinder zu integrieren. Die beiden Erwachsenen machen den Führerschein, und als Reza Rezai mit der Lehre fertig ist, beginnt Arefe Rezai ihre Ausbildung zur pharmazeutischen kaufmännischen Assistentin, die sie mit der positiven Lehrabschlussprüfung beendet. Für die ständige Unterstützung der Gemeinde, der Nachbarn und der Arbeitgeber sind die beiden bis heute sehr dankbar.

Das Leben spielt seine Geschichten

Im Oktober 2018 fällt der Beschluss: Nach rund drei Jahren ist das Asylverfahren der Familie abgeschlossen. Sie dürfen hier bleiben. „Das war für uns wirklich ein gutes und gewünschtes Ziel. Weil viele kommen hier her, lernen die Sprache, machen Kurse und werden trotzdem nachher abgeschoben. Das ist auch vielen Bekannten von uns passiert. Aber wir dürfen dableiben, Gott sei Dank“, so Reza Rezai. Einige Wochen nachdem er seine Lehre beginnt, treten neue Gesetze in Österreich in Kraft, die es Asylanträgern schwer machen, eine Lehre zu beginnen. „Ich hätte meine Lehre nicht anfangen können, und da hätte ich viele Nachteile gehabt. Aber das war für mich wirklich ein Glück. Das Leben spielt seine Geschichten“, blickt der Familienvater zurück.

Die Tochter, die mittlerweile die dritte Klasse Volksschule besucht, möchte Lehrerin werden. „Unsere Tochter hat alle Möglichkeiten. Sie wächst in einem sicheren Land auf. In Afghanistan wurden neue Gesetze erlassen, dass Frauen nicht mehr zur Schule und nicht mehr arbeiten gehen dürfen. Und Gott sei Dank ist sie nicht in einem solchen Land. Sie ist in einem freien Land und kann selbst entscheiden, was sie will.“