Pink ist Punk

14.08.2024 • 17:05 Uhr
Die Ursonate Unpop Theater
Verstärker! Das Bühnenbild ist eine begehbare Skultptur. Caro Stark/Unpop

„Die Ursonate“ von Kurt Schwitters grätscht schrill zwischen Anarchie und Alltag.

Bregenz Das Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung (UNPOP) ist nicht gerade dafür bekannt, sich die Finger in Reclams Schauspielführer wundzublättern. Caro Stark und Stephan Kasimir haben eine fundierte Idee davon, was Theater alles darf. Das beweist nicht nur ein Blick auf vergangene Inszenierungen, sondern auch auf jenes Spektakel, welches dieser Tage in Koproduktion mit dem Verein Caravan sowohl den öffentlichen Raum in der Landeshauptstadt als auch den in Lustenau bereichern wird.

Die Ursonate Unpop Theater
Musiker Paul Winter und Countertenor Fritz Spengler interpretieren “Die Ursonate”. Caro Stark/Unpop

Nachdem das Ensemble im letztjährigen Kultursommer mit „Die Politiker“ von Wolfram Lotz jene Grenzen ausgelotet hat, wie weit man überhaupt mit Sprache gehen kann, war es für Kasimir eine logische Konsequenz, dieses Jahr einen Schritt weiterzugehen. „Es stellte sich eigentlich nur die Frage, wie man sich nicht wiederholt und zugleich Mehrwert schafft. Da fiel die Wahl schnell auf ein Lautgedicht. ,Die Ursonate‘ von Kurt Schwitters ist das abendfüllendste dieser Gattung und bietet sich zudem ideal als Schnittstelle zwischen bildender und darstellender Kunst an.“ Dem Stück ist eine gewisse Anti-Haltung eingeschrieben. „Sprache ist und war, unabhängig vom Medium, auch immer eine Form von Macht. Da ist eine Verweigerung von Inhalt, eine Verweigerung von Form geradezu erfrischend.“

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Nun scheint der richtige Zeitpunkt für einen kurzen Exkurs zu sein. Kurt Schwitters (1887-1948) war ein von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemter Künstler (Maler, Dichter, Raumkünstler, Grafiker), dessen Schaffen in den Stilrichtungen Konstruktivismus, Surrealismus und Dadaismus anzusiedeln ist. „Die Ursoante“ wurde zwischen 1923 und 1932, in den Wirren der Zwischenkriegszeit, an den Kontaktpunkten von Poesie, Musik, Typografie und Performance erarbeitet, folgt in der Struktur einer klassischen, viersätzigen Sonate und besticht durch ihre zeitlose Relevanz. Ein Beispiel gefällig? Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee.

Es wäre allerdings nicht UNPOP, wenn sie dieses Material nicht noch auf eine höhere Ebene heben würden. Immerhin gilt es, schönen Nonsens auf die Bühne zu bringen. Auf Schauspieler wird diesmal komplett verzichtet. Der Text wird vom Countertenor Fritz Spengler interpretiert, Paul Winter untermalt das Szenario musikalisch, indem über ein Thema variiert wird. „Strukturierter Freejazz“ nennen Stark und Kasimir diesen Dialog zwischen den Protagonisten. Wenn schon Dada, dann kompromisslos.

Stephan Kasimir und Caro Stark gründen das „Ensemble für unpopuläre Freitzeitgestaltung“. Foto: Vn/Steurer
Stephan Kasimir und Caro Stark sind sich sicher: „Es ist unser bislang positivstes Stück.” VN/Steurer/Archiv

Wer kompromisslos sagt, der muss auch Caro Stark sagen. Ihr Bühnenbild schreit geradezu. Es ist eine begehbare Skulptur in Form eines Trichters, ganz im architektonischen Sinne von Kurt Schwitters (Stichwort: Merzbau). „Es gilt zuvorderst, die beiden Künstler sichtbar zu machen. Die Form der Skulptur ist yonisch (Anmerkung der Redaktion: das Gegenteil von phallisch), da geht der Assoziations-Pfad dann über die Ursuppe hin zum Urschrei.“ Auch die Kostüme folgen dieser Logik, denn wie die Theatermacher sehr überzeugend wissen lassen: „Pink ist Punk!“

Die Ursonate Unpop Theater
Das Publikum darf sich auf „strukturierten Freejazz“ freuen. Caro Stark/Unpop

„Die Ursonate“ scheint wie geschafften für den öffentlichen Raum. „Es braucht schwere Kost, um Hemmschwellen abzubauen. Im Bezahl-Theater schaut man sich dieses Stück nur an, wenn man wirklich interessiert ist, und im öffentlichen Raum findet im Normalfall eher Gefälliges statt“, weiß Kasimir. „Da der Eintritt frei ist, können die Leute kommen und gehen, wann sie wollen. Man ist auch nicht von der Dynamik des Zufalls gefeit. Da kreuzen Radfahrer oder Blaulichtorganisationen das Bühnenbild – man muss auf alles gefasst sein. Das ist doch das Schöne an Kunst.“

Termine

16. August Kornmarktplatz, Bregenz, 20 Uhr; 17. August Leutbühel, Bregenz, 20 Uhr; 18. August Anton Schneider-Straße, Bregenz, 20 Uhr; 23. August beim Freudenhaus, Lustenau, 20 Uhr; 24. August beim Freudenhaus, Lustenau, 20 Uhr

Alle Aufführungen bei freiem Eintritt. Sitzplatzreservierungen unter www.unpop.at

In einem sind sich beide sicher: „Es ist unser bislang positivstes Stück – ein Liebesstück.“ Vorarlberg braucht genau das dringend. Glücklicherweise hat das Ensemble mittlerweile seinen Wirkungsmittelpunkt in Bregenz gefunden. In Wirtschaftskreisen würde man das Standortbekenntnis nennen. Daher darf man nach dem Besuch der „Ursonate“ (Sitzplatzreservierungen sind empfohlen) bereits den Herbst herbeisehnen, wenn UNPOP „Die Katze Leonore“ von Caren Jeß in diesem einen Theater in Bregenz-Vorkloster zur österreichischen Erstaufführung bringen wird. Das lässt einen dann hoffentlich nicht nur die Katzengeschichten von Akif Pirinçci vergessen, sondern gleich dessen Gesamtwerk.