Türkei: Polizei setzt wieder Tränengas ein
Krawalle nach umstrittener Gerichtsentscheidung in Ankara.
Ankara. Fünf Monate nach den tödlichen Schüssen auf einen türkischen Demonstranten kam es gestern zu Beginn des Prozesses gegen einen angeklagten Polizisten zu neuen Zusammenstößen. Wie die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, setzte die Polizei in Ankara Wasserwerfer und Tränengas gegen rund 200 Demonstranten ein, die gegen eine Gerichtsentscheidung protestierten. In einer Anhörung hatte der Anwalt des beschuldigten Polizisten argumentiert, sein Mandant habe im Juni in Notwehr gehandelt. Das Gericht vertagte das Verfahren bis Dezember.
Demonstranten erschossen
Der Polizist wird beschuldigt, zu Beginn der Protestwelle gegen die islamisch-konservative Regierung Anfang Juni in Ankara den 26-jährigen Demonstranten Ethem Sarisüslük erschossen zu haben.
Das Gericht habe entschieden, dass der beschuldigte Polizist von seinem derzeitigen Dienstort in der südöstlichen Stadt Sanliurfa aus über eine Videoschaltung aussagen könne, berichteten türkische Medien. Die Forderung nach seiner Verhaftung lehnte es ab. Der Beamte war zeitweise in Untersuchungshaft. Ermittler sprachen dann von einer Notwehrsituation. Der Polizist wurde deswegen bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt.
Die tödlichen Verletzungen des Demonstranten sind auf einem Video dokumentiert. Die Aufnahme zeigt, wie ein Polizist in Ankara auf einen am Boden liegenden Mann eintritt. Dabei geriet der Beamte in ein Handgemenge mit anderen Regimegegnern und feuerte aus seiner Waffe. Daraufhin flüchtete er mit aufgesetztem Helm und einem am Gürtel hängenden Gummiknüppel.
Die Proteste in der Türkei hatten sich im Sommer an Plänen der Regierung entzündet, den Gezi-Park am Rande des Istanbuler Taksim-Platzes zu bebauen. Sie richteten sich bald vor allem gegen den autoritären Stil der Regierung. Für heute sind zum 90. Jahrestag der Republiksgründung neue Demonstrationen angekündigt.