„Brauchen keine neuen Instrumente“

Politik / 08.02.2015 • 22:28 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Peter Bußjäger zur direkten Demokratie: Das Rad nicht neu erfinden, aber endlich benutzen. FOTO: VN/STEURER
Peter Bußjäger zur direkten Demokratie: Das Rad nicht neu erfinden, aber endlich benutzen. FOTO: VN/STEURER

Direkte Demokratie: Vorarlberg nimmt Vorreiterrolle ein, sagt Föderalismusexperte.

wien, bregenz. Der direktdemokratische Prozess gehört reformiert. Dazu herrscht in Österreich weitgehend Einigkeit. Es müssten allerdings keine neuen Instrumente mehr gefunden, sondern deren Inanspruchnahme erleichtert werden, erklärt Föderalismusexperte Peter Bußjäger im VN-Gespräch. Was direktdemokratische Möglichkeiten auf Landesebene betreffe, sei Vorarlberg Vorreiter. Allerdings gebe es ein Problem: Die meisten wüssten nichts von den Instrumenten, die zur verstärkten Partizipation zur Verfügung stehen, sagt Bußjäger.

Anlässlich der parlamentarischen Enquete-Kommission zur Stärkung der direkten Demokratie sagten Sie, dass es in Vorarlberg bereits weitgehende Instrumente für eine stärkere Bürgerbeteiligung gibt, diese aber nur sehr selten in Anspruch genommen werden. Woran liegt das?

Bußjäger: Der Hauptgrund wird sein, dass die Instrumente auf Landesebene wenig bekannt sind. In Liechtenstein und der Schweiz gibt es zum Beispiel eine über Jahrzehnte aufgebaute direktdemokratische Kultur. Das ist in Vorarlberg wie auch im Rest von Österreich eher nicht der Fall.

Auf der einen Seite wird also auf Bundesebene derzeit die Stärkung der direktdemokratischen Instrumente diskutiert, auf der anderen Seite wird unter anderem auf Landesebene kaum wahrgenommen, was es diesbezüglich schon alles gibt?

Bußjäger: Während die meisten nichts von den Instrumenten wissen, kommt hinzu, dass das Land nicht mit dem Bund vergleichbare Kompetenzen hat. Auch der Umstand, dass nahezu alle 30 bis 40 Volksbegehren schubladisiert worden sind, wirkt sich aus. Die Bevölkerung könnte frustriert sein.

Glauben Sie, dass die permanent zunehmende Politikverdrossenheit abnimmt, wenn die direkte Demokratie gestärkt wird?

Bußjäger: Ja. Man muss aber paradoxerweise zuerst die Politikverdrossenheit überwinden, damit die Instrumente in Anspruch genommen werden. Wenn Entscheide einer Volksabstimmung jedoch nicht anerkannt werden, wie das etwa bei den Gemeindezusammenlegungen in der Steiermark der Fall war, wird die direkte Demokratie schwer zu beleben sein. Auf der anderen Seite gibt es auf Gemeindeebene auch positive Beispiele, etwa bei der Welle in Bregenz oder bei der Seilbahn in Mittelberg.

Hebt sich Vorarlberg von den anderen Bundesländern ab?

Bußjäger: Ja. Das rechtliche, direktdemokratische Instrumentarium ist in Vorarlberg gut ausgebaut. Vorarlberg war Vorreiter, und viele Länder haben Instrumente übernommen. Das gilt insbesondere für die Bürgerräte. Es zeigt sich auch, dass wir keine neuen Instrumente finden, sondern die Inanspruchnahme erleichtern müssen: dass man zum Beispiel Unterstützungserklärungen für Volksbegehren auf der Straße sammeln kann. Denn die geringe Inanspruchnahme ist das Manko, das auch Vorarlberg mit den anderen Ländern teilt.

Sollte eher über eine Stärkung der bundesweiten direkten Demokratie nachgedacht werden oder doch mehr über die föderale?

Bußjäger: Die Gemeinde- oder Länderebene ist besser geeignet. Die Dinge sind hier überschaubarer.

Welche direktdemokratischen Instrumente sollte man dort stärken?

Bußjäger: Man reduziert die Diskussion oft darauf, dass es mehr Abstimmungen geben sollte. Es gibt aber ein weiteres Feld der Bürgerbeteiligung. Es wird zum Beispiel jeder Gesetzesentwurf der Vorarlberger Landesregierung einer öffentlichen Begutachtung unterzogen. Da können nicht nur Interessenvertreter wie die Arbeiter- oder Wirtschaftskammer, sondern auch jeder und jede Einzelne dazu Stellung nehmen. Wenn dem nicht Rechnung getragen wird, muss es begründet werden.

Welche Möglichkeiten sehen Sie auf Bundesebene?

Bußjäger: Man könnte sich überlegen, ein sogenanntes Veto-Referendum einzuführen, bei dem Bürger eine Volksabstimmung über ein Gesetz verlangen können. Wo ich gewisse Vorbehalte verstehe, ist, wenn ein Volksbegehren automatisch zur Volksabstimmung führen könnte. Da ist für mich eher die Volksbefragung denkbar.

Vorarlberg war Vorreiter, und viele Länder haben Instrumente übernommen.

Stichwort. Direktdemokratische Elemente in Vorarlberg

Vorarlberg hat das Instrument der direkten Demokratie im Artikel 1 in der Vorarlberger Landesverfassung festgeschrieben: „Das Land bekennt sich zur direkten Demokratie in Form von Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen und fördert auch andere Formen der partizipativen Demokratie.“

Volksabstimmung: Zugangshürde ist die Unterstützung von 10.000 Stimmberechtigten bzw. die Unterstützung von 10 der 96 Gemeinden.

Volksbegehren: Zugangshürde 1,9 % der Stimmberechtigten, wird ein Anliegen von mindestens 10 % unterstützt und kommt der Landtag dem Volksbegehren nicht nach, ist eine Volksabstimmung abzuhalten. Einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofs zufolge muss sich der Landtag nicht an das Ergebnis halten. Um ein Volksbegehren zu unterstützen, muss die Bevölkerung nicht aufs Gemeindeamt gehen, sondern kann auch auf der Straße Unterschriften sammeln.

Stellungnahmen zu jeder Regierungsvorlage: Diese werden in zusammengefasster Form mit dem Gesetzesentwurf dem Landtag übermittelt.

Prüfung eines bestimmten Verwaltungsaktes durch den Landesrechnungshof: Zugangshürde ist die Unterstützung von 5000 Stimmberechtigten.

Bürgerräte: Werden halbjährlich landesweit durchgeführt. Etwa 15 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger entwickeln in ca. 2 Tagen Lösungs- und Verbesserungsvorschläge zu Themen, die sie interessieren.

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