„Müssen Pensionssystem sanieren“

Politik / 27.02.2015 • 21:37 Uhr / 9 Minuten Lesezeit
Mitterlehner: „Es werden die alten ideologischen Unterschiede zwischen ÖVP und SPÖ deutlich.“  Foto: APA
Mitterlehner: „Es werden die alten ideologischen Unterschiede zwischen ÖVP und SPÖ deutlich.“ Foto: APA

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) lobt Wirtschaft und Regierung in Vorarlberg.

Wien. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) warnt vor schrumpfendem Wachstum, fordert eine Anpassung des Pensionsalters und wirft dem Koalitionspartner SPÖ Reform­unwillen vor. Eine Vorarlberger Modellregion für die Gemeinsame Schule würde er unterstützen, und eine schwarz-grüne Regierung auf Bundesebene könnte er sich durchaus vorstellen.

Im jüngsten Sozialbericht heißt es, dass 44 Prozent der Österreicher armutsgefährdet wären, wenn nicht so viele Sozialleistungen vom Staat erbracht würden. Heißt das, die heimische Wirtschaft ist so schwach, dass sie die Menschen nicht versorgen kann?

Reinhold Mitterlehner: Nein. Zuerst muss man festhalten, wie Armut definiert ist: Je höher das Einkommen insgesamt wird, umso höher steigt der Wert. Wir haben eine Armutsdefinition auf relativ hohem Niveau. Dass eine Alleinerzieherin mit mehreren Kindern, wo der Mann seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, immer in einer problematischen Situation ist, ist klar. Das hängt weniger mit der Wirtschaftsleistung zusammen, sondern mehr mit den Gegebenheiten. Deswegen brauchen wir die Steuerreform – um gerade bei unteren Einkommensschichten die Situation zu verbessern. Dazu muss aber auch die Wirtschaft wachsen. Wir müssen beispielsweise Betriebsgründungen und Spin-offs von Universitäten forcieren.

Sozialminister Rudolf Hunds­torfer wünscht sich ein verpflichtendes Bonus-Malus-System für ältere Mitarbeiter in Betrieben. Die Wirtschaftskammer lehnt ab. Was sagt der Wirtschaftsminister dazu?

mitterlehner: Mir wird die Diskussion zu sehr mit den Begriffen Anreize und Strafen geführt. Ich möchte mehr auf die inhaltliche Seite kommen, auch in Richtung Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Im Endeffekt müssen wir das Pensionssystem sanieren und endlich das Antrittsalter nach oben bringen – und da müssen die jeweiligen Unternehmen bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer auch mittun. Ich hoffe hier auf einen konstruktiveren Prozess, der über das hinausgeht, was derzeit diskutiert wird. Ich verstehe aber auch den Wunsch des Sozialministers, endlich etwas vorzulegen.

Sie fordern die schnellere Anpassung des Frauenpensionsalters an jenes der Männer, Ihr Koalitionspartner lehnt ab. Auch in anderen Bereichen liegen ÖVP und SPÖ weit auseinander. Hängt der Koalitionsfrieden schief?

mitterlehner: Im beiderseitigen Bemühen steht nach wie vor das Ziel, für den Bürger Politik zu machen. Wir haben die großen Projekte Konjunkturprogramm, Arbeitsmarkt und Steuerreform nicht aus den Augen verloren. Aber wir haben jetzt auch die Auseinandersetzung über den richtigen Kurs, und da werden die alten ideologischen Unterschiede natürlich deutlich. Man kann sich nicht wie die SPÖ auf Dauer vor Reformen drücken. Österreich hat an Reformgeschwindigkeit verloren. Man hat zwar die Rankings immer abgetan, aber tatsächlich ist es so, dass wir jetzt im Wachstum im europäischen Schnitt langsam, aber stetig zurückfallen. Wir erwarten im laufenden Jahr das viertschlechteste Wachstum.

Das Viertschlechteste?

mitterlehner: In der EU, ja. Die SPÖ-Strategie in diesem Zusammenhang lautet: „Wir warten einmal ab, es wird sich wieder verbessern, wir haben eigentlich eh schon Maßnahmen eingeleitet und brauchen im Prinzip nichts mehr tun.“ Die SPÖ hat zum Beispiel in der Pensionsfrage immer noch die Meinung, wir fangen in Österreich – obwohl fast alle anderen europäischen Länder die Angleichung Männer und Frauen schon gemacht haben – im Jahr 2024 an und machen das 2033 fertig. Männer und Frauen rücken einkommensmäßig zumindest näher zusammen. Auch bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat sich sehr, sehr viel getan. Mit der derzeitigen Pensionsregelung nehme ich manchen Frauen die Chance, im Erwerbsleben am Schluss auch entsprechend Karriere zu machen und höhere Einkommen und somit höhere Pensionsansprüche zu erzielen. Wenn wir so weitertun, wird noch das faktische Pensionsantrittsalter das gesetzliche überholen.

Da muss ich widersprechen. Laut aktuellen Zahlen klafft die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen immer stärker auseinander und geht nicht, wie Sie sagen, immer mehr zusammen.

mitterlehner: Das gilt nicht für alle Bereiche. Und die Einkommensdifferenz hat auch viel damit zu tun, dass viele Frauen Teilzeit arbeiten. Aber bei Studenten haben wir jetzt zum Beispiel mehr Frauen in solchen Bereichen, die zu Führungsfunktionen führen. Und wir haben auch mehr Frauen in Top-Positionen. Doch es stimmt schon: Der Gleichstellungsprozess ist noch nicht abgeschlossen.

Sie haben vorhin die Steuerreform erwähnt. Diesbezüglich haben Sie unlängst gesagt, dass der Termin 17. März nicht in Zement gegossen sei. Kommt die Reform doch später?

mitterlehner: Nein. 17. März ist das Datum, an dem die Steuerreform fertig sein soll. Sollte es aus irgendeinem Grund, das kann auch einen technischen Hintergrund haben, um einen Tag später sein, dann wird der 17. März auch keine Fallfrist werden.

Und wenn Sie sich mit der SPÖ nicht einigen, habe die Regierung laut Ihren Aussagen keine Legitimation mehr …

mitterlehner: Ja, und zwar auch für andere Projekte werden die Bürger die Umsetzungskraft hinterfragen. Es würden die Stimmigkeit und die Glaubwürdigkeit nicht mehr da sein. Wenn die Regierung an der Steuerreform scheitert, wird es Überlegung geben müssen, was weiter passiert. Nur beschäftige ich mich jetzt nicht mit diesem Thema, sonst wird mir unterstellt, ich würde schon an Neuwahlen denken. Unser Vorhaben ist es, die Steuerreform zu bewältigen, alles andere wird man sehen. Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner, der in der Verhandlungskommission sitzt, ist ja auch ein Garant dafür, dass wir Erfolg haben werden.

Wie ist denn das als Bundesparteiobmann, wenn Sie jemanden wie Landeshauptmann Markus Wallner in Vorarlberg sitzen haben, der immer wieder meint, Vorarlberg müsse einen eigenen Weg gehen und mitunter von der Linie der Bundes-ÖVP abweicht?

mitterlehner: Da fühle ich mich sehr gut, weil ich mit dem Föderalismus überhaupt kein Problem habe. Markus Wallner und ich können auch persönlich miteinander sehr gut. Mag sein, dass wir da und dort einmal eine andere Meinung haben, aber ich bin mir sicher, dass wir das relativ kollegial bewältigen werden.

Seit Sie Parteiobmann sind, werden Dinge, die zuvor kaum denkbar waren, plötzlich machbar. Wie sieht es diesbezüglich mit einem möglichen Vorarlberger Modellprojekt zur Gemeinsamen Schule aus – beispielsweise im Rheintal?

mitterlehner: Wir haben versucht, das Kind und die Eltern in den Mittelpunkt zu stellen, und damit die Qualität in der Bildung und nicht so sehr die Organisationsform. Dennoch haben wir auch bezüglich der Struktur- und Organisationsfrage mit dem Parteiobmann in Vorarlberg gesprochen und haben eine offene Haltung in Richtung von Modellregionen. Also ich stehe da voll hinter den Vorarlberger Wünschen.

Bezüglich wirtschaftlicher Entwicklung und Arbeitslosenzahlen steht Vorarlberg im Vergleich mit anderen Bundesländern meistens als Musterschüler da. Wie erklären Sie sich das?

mitterlehner: Ich erkläre mir das mit der doch sehr heterogenen Struktur der Branchen und mit einer ganz starken Exportorientierung. Außerdem herrscht in Vorarlberg eine tolle Mentalität in Bezug auf Flexibilität, und die Zusammenarbeit zwischen Klein- und Mittelbetrieben und der Großindustrie ist sehr gut ausgeprägt. Und wahrscheinlich ist es auch ein Vorteil, dass in Vorarlberg jeder jeden kennt.

Die Absolute ist weg, jetzt regiert Schwarz mit Grün in Vorarlberg. Ein Nachjammern oder ein Fortschritt?

mitterlehner: Das hat sich auch in anderen Bundesländern bewährt. Noch lieber wäre mir gewesen, wenn die ÖVP besser abgeschnitten hätte. Aber sei es, wie es ist. Ich glaube, es ist ein gutes Modell, das sich aber über die nächsten Monate noch bewähren muss. Von der Grundkonstruktion und der Zusammenarbeit her ist es, soweit ich es aus der Distanz beobachten kann, durchaus eine brauchbare, regionale Variante.

Ist diese Variante auf Bundesebene denkbar für Sie?

mitterlehner: Denkbar ist eine derartige Variante, wie alles andere, selbstverständlich. Die Frage ist nur, was sich bei den nächsten Wahlen wirklich ergibt.

Man kann sich nicht wie die SPÖ vor Reformen drücken.

Mitterlehner: „Es werden die alten ideologischen Unterschiede zwischen ÖVP und SPÖ deutlich.“ Foto: APA
Mitterlehner: „Es werden die alten ideologischen Unterschiede zwischen ÖVP und SPÖ deutlich.“ Foto: APA

Zur Person

Dr. Reinhold Mitterlehner

ÖVP-Bundesparteiobmann, Bundesminister für Wirtschaft, Forschung und Wissenschaft, Vizekanzler.

Geboren: 10. Dezember 1955.

Ausbildung: Studium der Rechtswissenschaften an der Johannes Kepler Universität Linz, Promotion1980.

Familie: verheiratet, drei Töchter.

Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.