“Es ist die Panik vor dem Volk”

Opposition empört über rot-schwarze Absage an die Aufwertung des Volksbegehrens.
Wien. SPÖ und ÖVP wollten sich nicht unter Druck setzen lassen. 2013 diskutierten sie mit diesen Worten über jenes Paket, das unter anderem direktdemokratische Instrumente stärken sollte. Zwei Jahre, eine Nationalratswahl und eine Enquete-Kommission später erteilen sie ihrem eigenen Vorhaben allerdings eine Absage. Es bleibt Zukunftsmusik, dass erfolgreiche Volksbegehren zu Volksbefragungen führen. Die Zeit sei noch nicht reif, grundrechtliche Probleme wären „nicht zur Gänze gelöst“, zogen die Verfassungssprecher Peter Wittmann (SPÖ, 58) und Wolfgang Gerstl (ÖVP, 53) am Montag in Wien ihr Resümee. Außerdem sei die benötigte Zweidrittelmehrheit nicht machbar. Das Gesetzespaket müsse auf Eis gelegt werden.
Zorn der Opposition
Die Opposition schäumt. Die FPÖ wirft den Regierungsparteien „Panik vor dem Volk“ vor. Die Grünen kritisieren, dass Rot-Schwarz nicht einmal das Ende der parlamentarischen Enquete-Kommission abwarten würden. Diese wurde installiert, um die Stärkung direkter Demokratie gemeinsam mit den Parlamentsparteien, internationalen Experten, Medien und Bürgern zu erörtern. Die Neos bedauern, dass sich am Ende wieder einmal nichts bewegen werde.
Enttäuscht ist auch der Jurist Peter Bußjäger (52) vom Institut für Föderalismus und Teilnehmer der Enquete-Kommission. „Ich habe gespürt, dass die Bereitschaft, auch nur ein bisschen was zu riskieren, sehr enden wollend ist“, sagt er. Vorgesehen war, dass ein Volksbegehren, das von mindestens zehn Prozent der Stimmberechtigten unterstützt wird, zu einer Volksbefragung führt. „Das wäre überschaubar gewesen“, glaubt Bußjäger. Erstens sei es erfahrungsgemäß schwierig, so viele Stimmen zu ergattern. Zweitens wäre das Ergebnis einer Volksbefragung nicht bindend. Sollte ein durch das Volk eingefordertes Gesetz dennoch grundrechtliche Bedenken auslösen, sei es – drittens – die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, das zu überprüfen. Schließlich würden auch vom Nationalrat beschlossene Gesetze immer wieder vom Höchstgericht aufgehoben.
Für diese Periode gestorben
SPÖ und ÖVP kündigen nun an, die Bürger über öffentliche Plattformen stärker in Begutachtungsverfahren einbinden und direktdemokratische Instrumente auf Landesebene stärken zu wollen. Das sei zu begrüßen, sagt Bußjäger. Allerdings gibt er zu bedenken, dass ersteres in Vorarlberg bereits praktiziert, aber von den Bürgern nur vereinzelt genutzt werde. Länder und Gemeinden würden sich sicher gut für direkte Demokratie anbieten. Man dürfe dabei allerdings nicht vergessen, dass auf dieser Ebene nur zehn Prozent der Gesetzgebung abgedeckt werden. 90 Prozent würde derzeit auf Bundesebene beschlossen.
„Das Thema wird sich wieder regen, da direkte Demokratie weltweit an Bedeutung zunimmt. Für diese Legislaturperiode ist das allerdings gestorben“, bedauert Bußjäger: „Es gibt politische Parteien und Eliten, die die Gesetzgebung fest im Griff haben und die Macht einfach nicht abgeben wollen.“
Es gibt politische Parteien, die die Macht nicht abgeben wollen.
Peter Bußjäger
Direkte Demokratie im Regierungsprogramm
Stärkung der direkten Demokratie. ÖVP und SPÖ halten in ihrem Arbeitsprogramm 2013 bis 2018 fest, dass sie die direkte Demokratie stärken möchten: „Die Koalition bekennt sich zur sinnvollen Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch direktdemokratische Einrichtungen im Sinne des Antrags 2177/A.“ In dem dazugehörigen Abänderungsantrag wird festgehalten, dass ein Volksbegehren, das von 100.000 Wahlberechtigten oder je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder unterstützt wird, im Nationalrat behandelt werden muss. Ein Volksbegehren soll außerdem zu einer Volksbefragung führen, wenn zehn Prozent (einfaches Gesetz) beziehungsweise 15 Prozent (Verfassungsgesetz) das Anliegen der Initiatoren unterstützen und der Nationalrat keinen dementsprechenden Gesetzesbeschluss fasse, lautete das Vorhaben der Regierung noch 2013.