Sultan Erdogans Häme gegen die EU

Politik / 08.05.2016 • 22:57 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Regierungschef Ahmet Davutoglu hat nichts mehr zu melden. AP
Regierungschef Ahmet Davutoglu hat nichts mehr zu melden. AP

Davutoglus Entlassung und totaler Kurswechsel stellen Flüchtlingspakt infrage.

ankara. „Der Sultan hat seinen Großwesir gefressen!“ So kommentiert der türkische Volksmund am Wochenende die Entmachtung von Erdogans allzeit getreuem Schildknappen Ahmet Davutoglu als Regierungschef. Während dieser am Abstellgleis in Bosnien Moscheen einweiht, gibt der nun komplette Alleinherrscher eine Breitseite nach der anderen auf die EU und das mit dieser eingeleitete Flüchtlingsgeschäft ab. Dieses Meisterwerk des gewieften Langzeitdiplomaten Davutoglu versprach der Türkei als Gegenleistung für ein Bremsen des Flüchtlingsansturms aus ihren Lagern und die Rücknahme eines Teiles davon Milliarden Euro, Visa­freiheit für den Schengenraum und eine Wiederbelebung des Beitrittsprozesses Richtung EU. Nun ist das alles mit Davutoglus Entlassung und dem totalen Kurswechsel von Erdogan infrage gestellt.

Der Präsident war von Anfang an mit hämischen Wortmeldungen zur Durchführbarkeit des Flüchtlingsdeals auf Distanz zu seinem Ministerpräsidenten gegangen. Jetzt setzt er sich völlig von ihm ab, obwohl dieser offiziell noch bis zum Sonderparteitag der Regierungspartei AKP am 22. Mai im Amt ist. Die erste Drohgebärde des starken Manns am Bosporus kam gleich am Freitag – keine 24 Stunden nach Davutoglus Entmachtung – aus Istanbuls konservativem Muslimviertel Eyüp. Dort warf er Davutoglu vor, bei dem jüngsten Flüchtlingsabkommen mit der EU „leichtfertige“ Zugeständnisse gemacht zu haben. An erster Stelle eine Ausrichtung der türkischen Verhaftungs-, Verhör- und Gefängnispraktiken an die europäischen Standards. Das werde er sich nie vorschreiben lassen: „Wir gehen unseren Weg, ihr geht den euren!“, brüllte Recep Erdogan, als ob man es bis Brüssel hören müsste.

Gleich am Samstag sprach er erneut in der zentraltürkischen Islamistenhochburg Malatya, warf den Europäern vor, mit ihren Antiterrormethoden kläglich zu versagen. Die türkischen „Sonderbehandlungen“ seien viel wirkungsvoller und dürften daher nicht abgeschafft werden. Erdogan vergaß allerdings zu erwähnen, dass diese harten Folterbandagen in der Türkei nur gegen Kurden und Linke, nicht jedoch im Fall von Ultranationalisten und schon gar nicht Islamisten zur Anwendung kommen. Gerade Malatya ist ein trauriges Beispiel dafür.

Mörder noch nicht verurteilt

Am 18. April 2007 wurden dort der deutsche evangelische Missionar Tilmann Geske sowie die türkischen Neuchristen Necati Aydin und Ugur Yüksel mit Messern zu Tode gequält. Fünf Mörder nahm die Polizei nach vollbrachter Untat an Ort und Stelle fest. An ihrer Schuld gab es von Anfang an keinen Zweifel. Doch sind sie noch immer nicht verurteilt, wurden im März 2014 sogar aus der Untersuchungshaft entlassen. Einen von ihnen hat man inzwischen sogar als Staatsdiener beamtet, was einer Belohnung für seine Untat gleichkommt. Das ist die türkische Rechtspraxis, die Erdogan jetzt gegen jene Europas hochjubelt.

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